Ja, du bist spießig!
Du stellst dich hin und meckerst über andere Leute, weil sie deine Einstellung zum Festival nicht teilen. Du beschimpfst sie auch noch gleich alle.
Und das ganze wegen Dingen, die dich doch eigentlich gar nicht betreffen? Hättest du jetzt Beispiele gebracht, von wegen Dixxis umwerfen oder fremde Zelte anzünden oder zunehmenden Diebstähle, könnte ich es ja verstehen.
Aber was stört es dich, wenn ein anderes Camp zugemüllt ist? Du musst dich nicht mit denen abgeben oder dort aufräumen. Was stört es dich, wenn jemand in sein eigenes Zelt scheisst?
Ich gehöre auch zu den Leuten die üblicherweise ein recht sauberes Camp haben, aber das was du hier machst ist Spießbürgertum aller erster Güte. Hauptsache Meckern und sich als was besseres fühlen... am besten noch mit dem Spruch "Also früher hätte es sowas nicht gegeben...".
Du möchtest Beispiele. *grübel* Okay.
Ich war 2007 in Wacken, bin Montag angereist und dachte tatsächlich, ich würde die Leute in meinem Camp wenigstens flüchtig kennen. Wir zelteten auf Campground "C" und ich hatte bis zur Anreise verdammt noch mal Lust auf richtig gute Musik.
Das war nicht mein erstes Festival, aber zwischen 1995 und 2007 liegen offentsichtlich Welten.
Ich habe keine einzige Band gesehen, dafür aber innerhalb von 24 Stunden dreimal erste Hilfe leisten müssen: Erste Hilfe bei jungen Männern, die sich so sehr abgeschossen hatten, dass sie weder ihren Namen wussten noch zu erkennen war, welche Sprache sie sprechen.
In einem Fall war die Person ganz offentsichtlich alkoholvergiftet, nicht mehr bei Bewusstsein und hatte sich vollgepisst. Die Jungs drum herum diskutierten, ob man ihn ausnehmen oder einfach im Regen liegen lassen sollte. Ich leistete erste Hilfe und forderte die Umstehenden auf, die Sanis zu holen. Die kamen nicht. Also hab ich eine Wache bei der Schnapsleiche abgestellt und bin selbst hoch zu den Sanis. Alles was man mir zu der Person half, war, mir ein paar Aidshandschuhe in die Hand zu drücken mit dem Auftrag zu schauen, ob er noch atmet.
Obwohl Feuerwerk und offenes Feuer verboten war, brannte der Nachbarpavillion nur 5 Meter von meinem Zelt entfernt ab, es kam keine Feuerwehr, sie hätte es auch nicht bis dahin geschafft. Immerhin waren die Suffköppe in der Lage, das Feuer zu löschen.
Es wurden etliche Raketen quer über den Platz geschossen, und es grenzt an ein Wunder, das niemand verletzt wurde.
Die Leute aus meinen Camp machten sich einen Spaß daraus, aus leergetrunkenen Bierkisten einen Turm zu bauen und die Flaschen daran zu zerschmeißen. Und dann war es ein heres Ziel, auf den Turm zu klettern, ohne dass dieser umfällt.
Morgens in die eigene Bierkiste vorm Zelt zu kotzen, wurde allseits von den Umstehenden bejubelt.
Betrunkene, die im Zickzacklauf zwischen den Zelten zu den Dixis oder in die Büsche wollten, machten sich nicht die Mühe, auf irgendwelche Abspannseile zu achten, sie wurde einfach abgerissen.
Egal was vorfiel (und die Liste ist lang!), es wurde immer begründet mit "DAS IST WACKEN!"
Ich bin ein friedfertiger Mensch, der gerne anderen hilft. Ich schätze die Natur und benehme mich so, dass keiner schaden nimmt. Ich war nicht auf die Zustände in Wacken, insbesondere auf Campground "C", vorbereitet .
Am donnerstag mittag habe ich ein paar Leute gebeten, ihre Zelte aus dem Weg zu räumen, damit ich nach Hause fahren kann. Sie waren so freundlich und hilfbereit, dass ich meine Flucht antreten konnte, ohne über Leichen zu gehen.
Es haben viele noch Wochen später über mich gelacht, aber ich stand und stehe nach wie vor hinter meiner Entscheidung: Es war in der Situation, mit den Leuten um mich herum die richtige Entscheidung, Wacken noch vor Beginn des eigentlichen Festivals zu verlassen.
Es war ein teures Lehrgeld, was ich gezahlt habe, aber ich habe dazu gelernt.
Nach wie vor kann ich nicht verstehen, wenn Menschen ihr Gehirn mit der Eintrittskarte am Eingang abgeben, und jede noch so abstruse Handlung mit dem Totschlagargument "DAS IST WACKEN!" begründen.
Ich finde nicht, dass man Dixis umkippen muss, nur weil man "auf Wacken" ist.
Und sicher war die 2 Meter lange Schramme im Lack des Autos, welches ich mir geliehen hatte, ein Unfall.
Ebenso gehe ich davon aus, dass das Zelt, welches ich mir ebenfalls geliehen hatte, auch durch Unachtsamkeit zerstört wurde.
Es ist die Kombination von Mutwillen, Achtlosigkeit und Arroganz, die aus einem einst großartigen Festival ein Treffen machen, bei der es scheinbar nur um sinnloses Saufen und Abgeben aller guter Erziehung und Rücksichtnahme geht. Grenzen werden überschritten und die Veranstalter sind weitgehend machtlos, zu groß ist bereits der Kontrollverlust.
Ich weiß, in anderen Campgrounds ging es gesitteter zu. Und zum Glück fahren nicht alle nur nach Wacken, um ihr Gehirn abzugeben und sich für ein paar Tage vollkommen aus ihrer Verantwortung zu ziehen.
Dies ist der einzige Grund, warum ich 2009 noch einmal versuchen werde, etwas von der Musik und dem Gemeinschaftgefühl mitzuerleben.
Bin ich spießig?
Ja verdammt!
Und ich stehe dazu!
Denn ich habe ein Gehirn, und nicht vor, es am Eingang abzugeben oder mir wegzusaufen!
Verstehst Du jetzt, warum es Leute gibt, die so sehr abkotzen, wenn sie an die Leute denken, die das Festival kaputt machen?