Leben wie Gott in Frankreich
Die Faulheit erfährt eine Imagepolitur.
Schlafen kann ich, wenn ich tot bin. Diesen Leitsatz wählte einst der deutsche Regisseur Rainer Maria Fassbinder für seine Essaysammlung wie wohl auch für sein arbeitsreiches, intensives, aber kurzes Leben.
Der Slogan scheint allerdings in Vergessenheit zu geraten. Gegen den Druck der Leistungsgesellschaft macht sich ein Hang zur Ruhe bemerkbar - zumindest in der Theorie. Eine Reihe neuer Publikationen belegt das eindrücklich.
Negatives Image der Arbeit
Einer der Vordenker einer Ideologie der Faulheit war Paul Lafargue mit seinem Manifest "Le droit a la paresse" ("Das Recht auf Faulheit", 1883), der derzeit wieder "ausgegraben" und häufig im Munde geführt wird.
Im Gegensatz zu seinem berühmteren Schwiegervater Karl Marx hielt Lafargue von der Arbeit nicht eben viel.
"Seltsame Sucht"
"Eine seltsame Sucht beherrscht die Arbeiterklasse aller Länder, in denen die kapitalistische Zivilisation herrscht, eine Sucht, die das in der modernen Gesellschaft herrschende Einzel- und Massenelend zur Folge hat. Es ist dies die Liebe zur Arbeit (...)", lautet eines der berühmtesten Zitate aus Lafargues Manifest.
"Lohnsklaverei" und Arbeitslosigkeit
Lafargue forderte, dass die Erfindung von Maschinen durch die Industrielle Revolution dazu führen müsse, dass Menschen weniger arbeiten.
Oder mündete sie nur in mehr Produktivität, wie es sich etwa Thomas Edison erhoffte? Der britische Autor Tom Hodgkinson lieferte mit seiner im Dezember auf Deutsch erschienenen Kulturgeschichte "Anleitung zum Müßiggang" folgende Antwort: Durch die Maschinen gab es gleichzeitig mehr "Lohnsklaverei", aber auch mehr Arbeitslosigkeit - mehr dazu in "Anleitung zum Müßiggang".
Fluch des Nichtstuns
Bekannterweise gilt Arbeitslosigkeit aber nicht als wünschenswerte Ruhezeit, sondern als Fluch und Arbeitslose als "Sozialschmarotzer". Die deutsche Initiative der "Glücklichen Arbeitslosen" hat es sich deshalb zur Aufgabe gemacht, das Image der Arbeitslosigkeit als solche zu verbessern.
Da es nun einmal nicht genug Arbeit für alle gebe - sonst wären nicht in ganz Europa zig Millionen Menschen arbeitslos -, erfüllen jene Menschen, die auf einen Arbeitsplatz verzichten, eine wichtige Funktion. Sie sollen deshalb von der Gesellschaft geachtet werden, lautet die Forderung.
Skandalbuch in Frankreich
Einen Ausweg liefert die französische Volkswirtin Corinne Maier. Ihr Bestseller "Bonjour paresse" ("Guten Tag, Faulheit"), der soeben auch auf Deutsch erschienen ist, sorgte für helle Aufregung nicht nur bei ihrem Arbeitgeber, dem französischen Energiekonzern Electricite de France (EdF).
Wenn man nämlich umständehalber sein Leben nicht ganz nach den Bedürfnissen eines Müßiggängers einrichten könne, wie Hodgkinson es etwa fordert, dann müsse man eben seine Erwerbsarbeit möglichst angenehm gestalten, lautet Maiers These.
Stille Sabotage
Von der Theorie zur Praxis ist es in dem Fall nicht weit. Maier rät ihren Lesern, sich im Job still und diskret zurückzuhalten und sich so wenig wie möglich zu verausgaben. Nach dem Motto: Wenn der Konzern dich schon ausbeutet, sabotiere ihn ebenfalls.
Von ihrem Arbeitgeber wurde Maier prompt geklagt, konnte aber nicht gekündigt werden. Das knapp 120 Seiten starke Manifest eroberte sofort die internationalen Bestsellerlisten.
"Wie das 'Kommunistische Manifest'"
Die "New York Times" widmete der gebürtigen Schweizerin die Seite eins, die "Financial Times" meinte, "Bonjour Paresse" habe auf die höheren Angestellten dieselbe Wirkung wie einst das "Kommunistische Manifest" - mehr dazu in "Die Kunst, in der Arbeit nichts zu tun".
Nerv der Zeit?
Angesichts der Verkaufszahlen liegt die Annahme nahe, dass Maiers Thesen einen Nerv der Zeit treffen - vorab in Frankreich, wo die Debatte über die 35-Stunden-Woche seit Jahren schwelt.
Ob die theoretische Hinwendung zur Faulheit eine Vorhut ist und die Abkehr von alten Arbeitstugenden, vom Abstrampeln für die Karriere und von der möglichst hohen Pension bedeutet, wird sich noch weisen.