http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,544263,00.html
Der Populist, der keiner ist
Ein Rechtspopulist - was ist das eigentlich? Der niederländische Politiker Geert Wilders wegen seines Video-Pamphlets "Fitna" jedenfalls nicht, meint Henryk M. Broder: Die Debatte über den Film entlarve vor allem die Feigheit des Westens vor dem Islam.
Für jeden Topf gibt es einen Deckel, und für jeden, der aus der Reihe tanzt, ein maßgeschneidertes Etikett. Zurzeit hat der Begriff "Rechtspopulist" Konjunktur. Der holländische Parlamentarier Geert Wilders sei so einer, hört und liest man landauf, landab, aber kaum ein Reporter oder Kommentator macht sich die Mühe, seinen Hörern oder Lesern zu erklären, was ein "Rechtspopulist" eigentlich ist. Wodurch er sich auszeichnet. Und was ihn beispielsweise von einem "Linkspopulisten" unterscheiden würde.
Geert Wilders mag vieles sein - selbstbewusst bis an die Grenze der Eitelkeit, borniert bis an den Rand der Selbstaufgabe. Ein "Rechtspopulist" ist er nicht.
Erstens ist er ein radikaler Liberaler, zweitens ist das, was er gerade macht, extrem unpopulär. Schon der vor sechs Jahren von einem fanatischen Tierrechtler ermordete Politiker Pim Fortuyn galt als ein "Rechtspopulist". Er war in der Tat sehr populär, aber nicht weil er "rechts" war, sondern rücksichtslos auf Tatsachen hinwies, die von den traditionellen Eliten der holländischen Gesellschaft beharrlich ignoriert wurden.
Das Label "Rechtspopulist" hat heute die gleiche diffamierende Qualität wie "Kommunist" in den fünfziger und sechziger Jahren, "Faschist" in den Siebzigern und Achtzigern oder "Klimaleugner" heute. Es erspart jede inhaltliche Auseinandersetzung und macht allein seinen Träger für die Folgen seiner Handlungen verantwortlich.
Falls fanatische Moslems wegen Wilders' Film "Fitna" ausrasten, liegt es also nicht daran, dass sie ein gestörtes Verhältnis zur Religions- und Meinungsfreiheit haben, sondern daran, dass sie von Wilders beleidigt und provoziert wurden.
Informationen unter dem Moderatorentisch
So war es auch für Tom Buhrow ganz selbstverständlich, die "Tagesthemen" am vergangenen Freitag mit einem Bericht über "das islamfeindliche Video des niederländischen Rechtspopulisten" Geert Wilders anzufangen - als gäbe es in der ansonsten zensurfreien Bundesrepublik eine zentrale Stelle, die für die korrekte Sprachregelung in euro-islamischen Angelegenheiten zuständig wäre. Es folgte ein Bericht über die gelassenen Reaktionen holländischer Muslime, die in ihren Cafés sitzen und ganz friedlich Kaffee trinken, während Wilders draußen für Unfrieden sorgt.
Das Stück moderierte Buhrow mit dem Satz an: "Die Messer werden schon gewetzt, aber nur für den Döner", wobei er zu erwähnen vergaß, dass zu diesem Zeitpunkt "Fitna" bereits nicht mehr auf dem Videoportal "Live Leak" zu sehen war.
Der britische Provider hatte Morddrohungen bekommen, die er so ernst nahm, wie sie gemeint waren - eine nicht irrelevante Information, die der ARD-Anchorman wohl unter den Moderatorentisch fallen ließ, um die Zuschauer nicht mit Feinheiten zu irritieren.
Selber schuld ist Wilders nach dieser Diktion auch daran, dass er nun rund um die Uhr von der Polizei beschützt werden und jede Nacht an einem anderen Ort schlafen muss. Hätte er sich mit dem Verband holländischer Blumenzüchter angelegt, wäre sein Privatleben noch völlig intakt.
[Schöne Grüße von Metalhead of Switzerland? Anm. d. Verf.]
Leider muss man in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, dass es nicht obsessiver Übermut ist, der Wilders seine Privatsphäre raubt, sondern die Erinnerung daran, wie und warum der Regisseur Theo van Gogh ermordet wurde: von einem in Holland geborenen Muslim marokkanischer Herkunft, der wahrscheinlich auch gerne in einem Café saß und friedlich Kaffee trank, bis er eines Morgens zu seiner blutigen Tat aufbrach und den "Provokateur" van Gogh umbrachte, der heute vermutlich noch leben würde, wenn er nicht so leichtsinnig gewesen wäre, einen "islamfeindlichen" Film zu drehen.
Einseitige Tatsachen?
Tröstlich dabei ist, dass Wilders "nicht den Fehler" beging, "den Theo van Gogh gemacht hatte, indem er Sexualität mit dem Koran in Verbindung" brachte, "was bei den weniger gemäßigten Moslems" seinerzeit nicht gut ankam; das hätte "die Explosionsgefahr... mit Sicherheit potenziert",
schreibt auf SPIEGEL ONLINE eine Muslima (mehr...), die sich von Wilders nicht beleidigt fühlt und so weit geht, festzustellen, dass Wilders "in seinem Film eigentlich nichts anderes als Tatsachen (zeigt) - nur eben ziemlich einseitig".
Abgesehen davon, dass es ein wenig übertrieben scheint, jemand umzubringen, nur weil er einen "Fehler" gemacht hat - kann man Tatsachen anders als einseitig zeigen?
Gibt es zu dem Mord an Theo van Gogh, der Enthauptung von Daniel Pearle, der Hinrichtung einer Frau im Stadion von Kabul, dem Aufhängen von Homosexuellen und dem Steinigen von Ehebrecherinnen in Iran eine Perspektive, die nicht einseitig wäre? Müsste man dementsprechend nicht auch nach einem Flugzeugabsturz darauf hinweisen, dass so etwas nicht jeden Tag passiert und dass die meisten Flieger am Stück landen, um Tatsachen nicht einseitig zu präsentieren?
Wilders ist so "einseitig" wie jeder Dokumentarist, der die Wirklichkeit verdichtet. Sein Film ist so "islamfeindlich" wie die Filme von Michael Moore "kapitalismusfeindlich" sind. Die Feindschaft liegt nicht im Auge des Betrachters, sondern in der Natur des betrachteten Gegenstands. Zu den festen Ritualen, mit denen Sprecher der muslimischen Gemeinden auf die Feststellung reagieren, der Islam sei nicht unbedingt und nicht immer eine Religion des Friedens, gehört die Androhung von Gewalt, falls diese "Beleidigung" nicht zurückgenommen werde - egal ob es sich um den Papst, einen Politiker oder einen Poeten handelt.
Die Drohung reichte
Aber Wilders hat sich noch eines anderen Vergehens gegen den herrschenden Konsens schuldig gemacht. Er hat das Gesetz des Handelns an sich gezogen, agiert statt reagiert. Seit er seinen Film vor drei Monaten ankündigte, bestimmt er selbst den Lauf des Diskussion, treibt er seine Gegner vor sich her. Wohl niemand wäre überrascht gewesen, wenn Wilders das Spiel mit dem Geständnis beendet hätte, dass es den Film gar nicht gibt.
Denn was er erreichen wollte, hatte er allein mit der Drohung, ein "islamfeindliches Video" zu planen, bereits erreicht:
Er führte den "freien Westen" als Papiertiger vor. Die niederländische Regierung distanzierte sich von dem Projekt und wies ihre Botschafter in muslimischen Ländern an, den dortigen Regierungen die Situation in der Heimat zu erklären, wo die Regierung nicht so allmächtig ist, wie sie es gerne wäre.
Die EU wollte es allen recht machen und betonte in einer Erklärung das Grundrecht der Redefreiheit, relativierte es aber gleichzeitig: "Wir glauben, dass Akte wie dieser Film keinem anderen Zweck als dem dienen, zum Hass aufzustacheln."
Sogar Uno-Generalsekretär Ban Ki-Moon schaltete sich ein und verurteilte den Wilders-Film "in schärfster Form". Es gebe keinerlei Rechtfertigung für Hasspredigten und das Anstacheln zur Gewalt. "Das Recht auf freie Meinungsäußerung steht hier nicht zur Debatte. Freiheit muss immer mit sozialer Verantwortung einhergehen."
Es waren Töne, auf die man manchmal vergeblich wartet, wenn Islamisten zum Dschihad aufrufen, Fanatiker Ungläubige massakrieren oder Holocaust-Leugner Konferenzen veranstalten. Denn der einzige Zweck all dieser Exerzitien war es, eine Wiederholung der Ereignisse von 2006 zu vermeiden, als ein Dutzend harmlose Mohammed-Karikaturen einen Flächenbrand der Empörung von Jakarta bis Rabat auslösten. Damals riefen viele Politiker, unter ihnen Claudia Roth, zur "De-Eskalation" auf.
Der Aufruf richtete sich nicht die Brandstifter, die dänische Fahnen verbrannten und Botschaften verwüsteten, sondern an die Europäer, die ratlos dem Treiben der Gotteskrieger zusahen, besorgt, nicht noch mehr Öl ins Feuer zu gießen.
So war es auch, als vor kurzem eine im Sudan lebende arglose Engländerin einem Teddybären den Namen Mohammed gab. So war es auch, als Salman Rushdie von der britischen Königin zum Ritter geschlagen wurde:
Die Moslems empörten sich und die Europäer gingen in Deckung, bis der Sturm vorüber war.
Und jetzt wird der "Rechtspopulist" Wilders auf dem Altar der Appeasement-Politik geopfert. Er ist kein Cineast, und sein Film ist kein Meisterwerk für die Freunde der Filmkunst.
Es ist eine brachiale Aufforderung, die Wirklichkeit wenigstens zur Kenntnis zu nehmen. [!!!!!!!!!!!!!!!!! (Anm. d. Verf.)]