Das denke ich auch. Aber genau da liegt halt auch die Gefahr - eigene Erfahrungen in eine allgemein gültige Wahrheit umzumünzen. Das meine ich ganz generell, nicht nur auf Sarrazin bezogen. Ich persönlich finde aber dieses Thema so dermaßen komplex, dass es mir ehrlich gesagt extrem schwer fällt, mir eine eigene Meinung zu bilden. Ich weiß gar nicht, was hier richtig oder falsch ist.
Nur von EINER Sache bin ich überzeugt: Die Probleme liegen nicht allein (oder zum Großteil) bei den Migranten, auch wenn Migration durchaus ein sehr problembehaftetes Thema sein kann. Ich glaube, dass die Migrationsproblematik nur ein Teil des großen Ganzen ist, und das Kernproblem erstens tiefer liegt und zweitens vielschichtiger ist. Vielleicht sind die Migrationsprobleme sogar nur ein Symptom der wahren Problematik? Nicht URSACHE, sondern Teil des ERGEBNISSES?
Das ist auch dein gutes Recht. Wenn ich mit irgendeiner Gruppe von Leuten schlechte Erfahrungen mache (und das immer wieder), kann ich die durchaus scheisse und asozial finden, vielleicht sogar hassen. Warum auch nicht? Trotzdem kann man jedem den nötigen Respekt entgegenbringen, den man als Mensch SELBER von seinen Mitmenschen erwartet. Das ist der entscheidende Unterschied.
Und man darf halt nie vergessen, dass die eigenen Erfahrungen individuell sind. Manch einer fühlt sich durch eine Aussage beleidigt, die andere als normale Sachdiskussion verstehen. Da ist halt jeder anders. Man kann durchaus seine eigene Meinung vertreten und auch für richtig halten, und trotzdem nicht für sich in Anspruch nehmen, dass man die Weisheit mit Löffeln gefressen hat.
Jep. Und hier ist die Frage: Ist das tatsächlich so, oder basiert das Ganze auf einer gefärbten Wahrnehmung?
Wenn man beispielsweise in der Schlange am Postschalter steht und der "deutsche" Herr hinter einem mosert rum, warum das so lange dauert. Was denkt man dann? "Ups, da hat wohl einer schlechte Laune heute" oder "Junge, ist der Kerl ungeduldig" oder "Du regst dich echt über unwichtigen Blödsinn auf, du Idiot".
Am Tag später steht man wieder in der Schlange, hat am Abend vorher das Buch von Sarrazin gelesen, und hinter einem steht ein "Türke" mit seiner kopftuchtragenden Frau und mosert ebenfalls rum, warum das so lange dauert. Was denkt man DANN? "Oh mann, diese Ausländer... machen immer nur Stress" oder "Wenn's dir hier nicht passt dann verschwinde doch in dein Heimatland".
Das mal als mögliches Beispiel. Ich denke halt, dass alleine die Tatsache, dass ständig von Integrationsproblemen bzw. Integrationsunwilligen gesprochen wird, die eigene Denke in diese Richtung fördert. Das merke ich auch bei mir selbst. Und da sollte man sich fragen, ob man da möglicherweise einfach nur übelst beeinflusst wird.
Was stört einen denn WIRKLICH? Für mich ist das der oft mangelnde Respekt. Ich krieg immer die Wut, wenn Menschen sich mir oder anderen gegenüber respektlos verhalten. Und ich bin ein ABSOLUTER Verfechter der Menschenrechte! Sklavenhaltung, Zwangsehen, Einschränkung der Pressefreiheit / Bewegungsfreiheit / Privatsphäre / Meinungsfreiheit in unserem Land? Für mich nicht vorstellbar. Es hat lange gedauert, zu diesem Punkt der Freiheit zu kommen. Ein Rückschritt ist für mich persönlich da nicht akzeptabel. Für die Menschenrechte würde ich wenn es hart auf hart kommt auch mein eigenes Leben hergeben. In diesem Sinne bin auch ich ein Extremist.
Eine gut funktionierende Gesellschaft beruht auf gewissen Werten. Individuelle Freiheit ist für mich persönlich eines der wichtigsten Güter. Trotzdem glaube ich, dass eine ZU individualisierte Gesellschaft ihre Bindung untereinander verliert. Und dann wird das Ganze zum Problem, da es dann irgendwann in einer Ellenbogenmentalität mündet.
Bei all der Erfüllung der eigenen Bedürfnisse sollte man seinen Nächsten dabei nicht aus den Augen verlieren. Ich bin absolut überzeugt davon, dass das eine das andere nicht ausschließt. Wenn sich jeder, statt nur auf sich selbst zu schauen, zur Hälfte auch auf andere gucken würde, wäre es erstens fair, und zweitens würde ohne Mehraufwand trotzdem jeder 100% bekommen.
Zusammenhalt und respektvoller Umgang sind wichtig. Dann geht es nicht nur pseudomäßig, sondern auch im Guten steil nach oben. Und dafür unerlässlich ist eine qualitativ exzellente Bildung, sowie stabile soziale Strukturen und Verbände.
Viel gesellschaftlicher Mist resultiert aus Perspektivlosigkeit und einem Gefühl von Ohnmacht und Alleingelassen sein / Nichtbeachtetwerden. Oder NichtGEachtetwerden.
DAS sind in meinen Augen die Probleme, die wir hier angehen müssen. Alles andere regelt sich dann ganz von selbst.
Freedom is everything, love is all the rest. (Richard Bandler)
Sehr sehr schöner, sachlicher und ehrhafter Post. Da haste dir richtig Respektpunkte eingesammelt bei mir
ernsthaft!
Ich bin auch ständig meine Meinung zu diesem wirklich sehr komplexen Thema am verfeinern und am überdenken. Meine Grundmeinung ist dazu "Im Grunde hat jeder daran Schuld, dass in diesem Land so viel verkehrt läuft"
Deine Theorie, dass die Migrantenprobleme nicht Ursache sondern das Ergebnis der wahren Problematik sind klingt sehr interessant, mit dem Hintergrund müsste man mal weiter forschen.
Dein 4. Absatz ist sehr interessant und wenn du mal drauf achtest, siehst du das schon hier im Forum. Gerade die Diskussion zwischen alt und neuusern. (Ich will nicht hier offtopic darüber diskutieren). Da ist auch das Problem, das aufgrund der langjährigen Forenerfahrung altuser einen Ton anschlagen, der bei neuusern in den falschen Hals ankommt.
Somit entstehen Spannungen, ich denke oftmals meint der altuser das nichtmal böse, aber die Spannung ist dann da und es wird sich gezankt für nichts im Grunde.
Zu deinem "Schlange stehen"-Beispiel, kann ich nur sagen "spreche ich mich nicht von frei". Aufgrund vieler negativer Erfahrungen, hat man oftmals so eine voreingenommene Meinung von jemanden, der im Grunde gar nichts für meine negativen Erfahrungen kann.
Ich kann dir aber nicht sagen, wie man diese Denkweise ändert. Ich sehe es ja selber ein, dennoch kommt das von automatisch.
Ich halte das irgendwie für urinstinkte die der Körper da auslöst a la "nix gutes mit erlebt, ist nicht gut für dich"
Ich sehe es genauso, Menschenrechte ist das wichtigste und wertvollste was wir haben. Die Menschen Nordkoreas oder Afrikanischer Diktaturen, die tun mir richtig Leid und im Grunde müsste man jeden Tag zu irgendwem beten, dass man mit solchen Menschenrechten geboren wurde.
Und auch ich würde die mir nicht kampflos nehmen lassen und wenn ich persönlich im Bundestag dafür einmarschieren muss.
Ich denke Extremist ist JEDER, wenn er in eine Situation kommt für die er alles tun würde. Bei mir ist das auch die Situation "Jemand tut meinen besten Freunden oder meiner Partnerin was".
Das ist eine Situation wo ich Extremist werden würde, ich würde mein ganzes Leben auf Urlaub verzichten und alle Ersparnisse in die Jagd derjenigen stecken die dafür verantwortlich sind. In so einem Fall würde es keine Richter geben, keine Gefängniszelle. Tod und Verderben für jeden der zu dem Täterkreis steht, aber wenn alles gut geht, wird es niemals dazu kommen.
Wir verlieren nicht nur unsere Bindung! Obwohl wir (und das ist der Hohn an der ganzen Sache) immer glasiger werden, man immer mehr von uns in immer schneller werdender Zeit herausfinden kann, anonymisieren wir uns immer mehr von unserer Umgebung.
Frag mal im Freundeskreis nach, wieviele Ihre Nachbarn kennen und wie gut.
Einige wissen nichtmal die Vornamen ihrer Nachbarn.
Wenn ich das anhand der Familien von mir oder Freunden ansehe, 5 Häuser weiter wissen die noch, dass Peter Paules Hund 6 Jahre alt ist und Mimimi heißt oder sein Sohn Paul Paules auf dem besten Weg ist seinen Realschulabschluss zu machen.
Ich hoffe du verstehst wie ich den Absatz meinte. Wir kennen uns nicht mehr, obwohl wir nebeneinander wohnen und eine Gemeinschaft sein müssten (allein schon in einem Mehrfamilienhaus).
Nur Nyme, ich denke wir sind nicht die einzigen die so philosophisch denken. Das Problem wird fast allen bekannt sein, aber keinen interessierts, weil sie es auch oftmals nie anders kennen gelernt haben.
Ich vermisse es schon irgendwie, da ich es anders gewohnt war, als kleiner Stöpsel.
Nur ich muss dir ganz ehrlich sagen: Ich hab keine Ahnung wie man so eine Denkweise in der Gesellschaft umändern könnte.