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Allerdings findet die eine Suche in Google Books keine Treffer für ["Zigeunerschnitzel" OR "Zigeuner-Schnitzel" OR "Cigeunerschnitzel" OR "Cigeuner-Schnitzel"] vor 1957, wo es im „Lexikon der Küche: gekürzte Kochanweisungen, fachgewerbliche Angaben, Ratschläge usw. über Weine, Getränke, Servieren“ steht (leider nur in der Snippet-Ansicht verfügbar). Auch die ["Zigeunersoße" OR "Zigeuner-Soße" OR "Cigeunersoße" OR "Cigeuner-Soße" OR "Zigeunersauce" OR "Zigeuner-Sauce" OR "Cigeunersauce" OR "Cigeuner-Sauce"] taucht erstmals in diesem Kochbuch auf.
Gab es das Rezept vorher nicht? Ich fand den Wikipedia-Eintrag so plausibel, dass ich das nicht glauben mochte. Also suchte ich im 19. Jahrhundert nach [schnitzel paprika OR paprica] und siehe da, das Rezept existiert tatsächlich. Aber wie nannte man es, wenn es nicht Zigeuner-Schnitzel hieß? Sie werden es nicht glauben: Diese politisch korrekten Gutmenschen des 19. Jahrhundert nannten das Gericht doch tatsächlich… Paprika-Schnitzel.
Also ist wohl Folgendes passiert: In den selbstzufriedenen fünfziger Jahren des Wirtschaftswunders hatten die (West-)Deutschen ihre jüngere Vergangenheit ausreichend verdrängt, um wieder etwas Exotik in ihre Küche zu bringen. Der Völkermord an den Sinti und Roma war vergessen (er war ja auch schon zehn Jahre her), und die fiktive Romantik des „Zigeunerlebens“ konnte wiederbelebt und auf das Paprikaschnitzel projiziert werden. Dass die Sinti und Roma weder mit Paprika, noch mit Schnitzel besonders viel zu tun hatten, spielte dabei keine Rolle: Österreich-Ungarische Monarchie, fahrendes Volk, ist doch alles dasselbe – feurige dunkle Menschen aus dem Süden, halt.
Und damit zum zweiten Punkt: Ist es schlimm, dass das Schnitzel (und die Soße) das Wort Zigeuner im Namen tragen?
Die kurze Antwort ist „Ja“. Die lange geht so: Eine Gruppe von Menschen unterschiedlicher Ethnien, die jahrhundertelang verachtet und verfolgt und dann von deutschen Nationalsozialisten systematisch in Vernichtungslagern ermordet wurde, eignet sich nicht dazu, einem österreichischen Gericht einen exotischen Anstrich zu geben. Und zwar unabhängig davon, ob man dazu das in sich schon problematische Wort Zigeuner oder irgendein anderes Wort verwendet. Dass das die Deutschen in den fünfziger Jahren nicht erkennen konnten, verwundert angesichts der spektakulären Verdrängungsarbeit, die sie kollektiv geleistet haben, vielleicht nur am Rande. Dass die Deutschen im Jahr 2013 es immer noch nicht erkennen können, ist zutiefst schockierend.
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