Ich bin immer son bischen gespalten, was diese gesamte Werbung angeht und auch den Overkill an Einspielern, Fähnchen, Promotoren und sonstigem Gekrösel, wat einem die Freizeit madig machen kann.
Einerseits - es ist natürlich Anliegen der Veranstalter, irgendwo Geld reinzuspielen... Allerdings ist die unbedingte Gewinnmaximierung keine gottgegebene Voraussetzung für Unternehmungen aller Art - hier steht immer noch das eigene Ziel im Vordergrund und dieses kann jeder für sich selbst definieren. Dem gegenüber steht natürlich auch die solide Finanzierung der ganzen Geschichte (zumindest auf ne schwarze Null) , die schon viel eher eine Art Gesetz ist oder sein muss. Irgendwo dazwischen kann man sich problemlos ansiedeln.
Andererseits - auch wenn man in gewisser Form Verständnis für das Streben nach Einnahmen hat... wie schon gesagt, es geht manchmal hart an die Nervgrenze. Werbe-Einspieler auf den großen Leinwänden gehen mir persönlich unglaublich auf den Sack. Denn - mag jeder seine Werbung anbieten, ich kann sie annehmen (is ja irgendwo mein Ding, ob ich auf diesen Hörnertee-Hochsitz fahren will oder halt nicht), aber Werbung auf den großen Leinwänden in krasser Lautstärke kann ich mich nicht entziehen. Das mag ein Ziel der Werbung sein, aber hier kommt dann die Frage nach den eigenen Zielen auch der Veranstalter - ob man dann den Zuschauer auch gegen seinen Willen mit Gewalt mit Werbung malträtieren will. Auch Bühnennamen finde ich grenzwertig... die gehören - für mich - irgendwo zur Identifikation mit dem Festival dazu. Daher war das Posting mit den themenbezogenen (Werbe-) Namen noch nicht mal ausschließlich Spaß. Nur mal vorgestellt ein Dialog am Campingplatz:
1: wo gehsse heute hin?
2: Ich denke zur Signal-Iduna-Bühne. Und Du?
1: Mal sehen, die Alete-Stage is ganz nett, aber in der Zalando-Nudism-Area gibts gratis kultige Langhans-Intim-Perücken.
2: Cool, bring mir gleich nochn paar von den oberkultigen Wacken-Schlappen@Zalando mit. Die brauch ich noch für das Axe Womanizer Cleanup Shower Adventure.
Ich schätze - so gehts mir auch -, dass eben das Bewusstsein um die eigene Zielsetzung und die Zurkenntnisnahme der ganzen Werbung unweigerlich dazu führt, dass sich das Gefühl einstellt, dass der Besucher eher nachrangig betrachtet wird und die gewaltsam eingebrachte Werbung eben vorrangig - obwohl es nach außen hin gar nicht notwendig erscheint, diese massive Werbung einzuwerfen. Damit wäre das, was viele Leute noch in idealistischer Weise bei diesem Festival sehen, zumindest in diesem einen Punkt ad absurdum geführt.
Leider geht man hier aber auch schnell in einen spekulativen Bereich. Was ist wirklich nötig, um das Festival zu betreiben? Wo sind die Grenzen des Gewinnstrebens oder aber wo ist die Verlustgrenze? Ich weiß es nicht... für mich scheint nur, dass das Festival mit diesen Zuschauermassen und den Eintrittspreisen sicher auch ohne dieses "immer mehr Kirmes" machbar wäre. Ich weiß es nicht, aber ich bin auch nicht der Event-Manager. Es geht hier aber ja auch um den "gefühlten" Verlust der Identifikation und des Wacken-Feelings. Übrigens - mir ist auch bewusst, dass dieses "immer mehr Kirmes" zumindest in seinen Grundzügen auch die Publikumsstreuung zum Ziel hat, die ich wiederum sehr sehr sinnvoll finde. Es ist halt ein relativ schmaler Grat.
Ich zahle gerne meine Asche für das Ticket, denn Wacken ist für mich immer noch ein geiles Festival (irgendwo macht man sich sein Festival ja auch zu guten Teilen selber), hat immer noch Aspekte, die es nirgendwo anders gibt (was im Übrigen nicht zuletzt auch eine große Leistung der "Urgemeinde" ist). Ich latze auch gerne ein paar Euronen für diverse Bier vor den Bühnen, aber ich bin im Grunde genommen nur dazu bereit, wenn irgendwo ersichtlich ist, dass ich damit einen guten Anteil am Gesamtfestival liefere. Wenn ich bis zum Rand ausgezogen werde (und das passiert halt, wenn man jedwede Möglichkeit der Betriebswirtschaft inklusive Marketing und Co ausreizt), dann geht mir der Sinn für meinen Anteil am Gesamten irgendwo verloren.
Ich bin seit den 90ern dabei, finde es selbstverständlich, dass man meinetwegen superfreundlich ist zu den Leuten im Dorf, dass man sich als GAST in Wacken sieht und sich dementsprechend verhält. Das ist immer noch so und sobald ich das für mich nicht mehr sagen kann, ist das originale Wacken-Feeling hinüber, denn: die Gefahr besteht darin, dass das "Gastfeeling" immer mehr verloren geht und sich immer mehr die "ich bezahle, also bin ich im Recht" Mentalität durchsetzt. Die Anzeichen dafür sind mittlerweile oft genug zu sehen und meiner Ansicht nach auch Grund zur Sorge.
Die Frage ist - wie lange kann man dagegenhalten? Und vor allem: wie?
Gutgehn
stratege