Moin zusammen,
erstmal vorneweg - spannende Diskussion, habe jetzt vieles mal nachgelesen, obwohl ich selten 11 Seiten lange Freds nochmal durchlese. Liegt daran, dass ich selber seit etlichen Jahren Demeter, Waldorf, steinersches Geschwurbel und alles aus diesem Dunstkreis erfolgreich meide.
Diese ganze anthroposophische Welt zu ergründen ist relativ schwierig, da es meiner Erfahrung nach "die eine" steinersche / anthroposophische Welt nicht gibt. Die Grundlagen des ganzen Denkansatzes lassen sich sicher noch irgendwie in den steinerschen Gedanken erkennen, jedoch habe ich mehrere Instanzen, die darauf aufbauen, kennengelernt, die genau diese Grundansätze äußerst unterschiedlich interpretieren.
Im besten Fall ist es wirklich (in meinen Augen) fehlgeleitetes Gebrabbel mit irgendwelchen esoterischen Ansätzen, wo ich mir denke: lass die Leutchen denken, in ihrer Welt wirken und von mir aus lächelnd ne Klippe runterspringen, wenn es ihnen geziemt - es gibt da jedoch auch schon etliche Leute, die ihr Ding machen, davon überzeugt sind und es dann auch noch schaffen, zumindest keinen Schaden anzurichten.
Dass aus dieser Denkströmung viele Impfgegner stammen, erschien mir auch so, ich habe jedoch keinerlei Belege dafür (ist ein subjektiver Eindruck). Das kann in meinen Augen in der absoluten Abneigung gegen jedewede Form wissenschaftlicher Erkenntnis und Arbeit liegen. Wenn mich nicht alles täuscht, hat auch Steiner schon in Abwehr seiner Fantasien die Wissenschaft abgelehnt und regelmäßig dagegen argumentiert. Auch das wundert mich wenig, jede wissenschaftliche Erkenntnis ist fast schon qua Definition der direkte Antagonist jedweder steinerschen Ideen und Gedanken. Aus rein freiheitlichem Gedanken heraus muss ich jedoch auch akzeptieren, dass Menschen Wissenschaft uncool finden. Ich finde die Denkwelt zwar äußerst bescheuert und gesellschaftlich hochproblematisch, sehe hier aber auch das Recht auf Freiheit anderer Menschen. Schwierig, aber in meinen Augen nicht strafbar.
Wie schon gesagt - interessant an dem ganzen anthroposophischen Zirkel ist das, was jede Instanz daraus macht. So kann es durchaus sein, dass Voelkel einen sehr humanistischen Ansatz verfolgt, seine Mitarbeiter hervorragend behandelt, Umwelt schützt, Bio anbaut und so weiter und so fort. Ich persönlich musste Instanzen kennenlernen, die ich im Nachgang und mit dem Verstand eines Erwachsenen tatsächlich schon als menschenfeindlich bezeichnen würde. Menschenfeindlich vor allem denjenigen gegenüber, die eben andere / kritische Gedanken hegen. Ich war jahrelang Waldorfschüler an einer Schule, die ohne mit der Wimper zu zucken jeden hier aus diesem Thread als Jünger Satans und als "nicht integrierbare, verirrte Wesen" genau dies auch hätte spüren lassen. Die pädagogischen Methoden, die damals angewendet wurden, um den Kindern genau dies auch zu zeigen, hatten fast schon exorzistische Züge. Das fand zwar nicht in direkt ausgeübter (wohl aber tolerierter) Gewalt den Schülern gegenüber statt. Die seelische Gewalt, die jedoch "Pädagogen" an der Schule damals ebenfalls schon an den Tag gelegt haben, würde ich heute als Erwachsener und erfahrener Mensch ohne mit der Wimper zu zucken vor den Kadi zerren. Und nein, da gibt es nichts zu relativieren, da waren echte verblendete Arschlöcher dabei, die mit Kinderseelen einfach schäbig und verwerflich umgegangen sind.
Waldorf / Anthroposophie steht und fällt mit dem Personal, welches dort wirkt. Aber leider ist genau das auch die Gefahr an der Sache. Waldorfschulen sind genauso von Missbrauch und Fehlverhalten der Pädagogen betroffen wie staatliche Schulen, religiöse Einrichtungen, etc. (kann man prima an verschiedenen Stellen nachlesen). Der entscheidende Faktor dahinter ist der Mensch (wie übrigens in fast jeder Glaubensrichtung), aber hier erwächst auch die Gefahr daraus: die quasi religionsartig zugrunde gelegte Denkwelt von Steiner in Verbindung mit einer zudem noch erhöhten Religiosität schafft mitunter Zustände, wo manche Mitwirkende in der anthoposophischen Welt ein "Sendungsbewusstsein" entfalten, welches so starr auf der Richtigkeit der anthroposophischen Gedanken beharrt, dass daraus wiederum unhaltbare und auch gefährliche Verhaltensweisen Mitmenschen gegenüber resultieren.
Was nun Steiner und Rassismus angeht - puh, starker Tobak. Ich habe manchmal den Eindruck, dass Steiner in seinem Leben so viel Gebrabbel zu Papier gebracht hat, dass er selber stellenweise nicht mehr wusste, was er 2 Jahre vorher publiziert hat. Auf der einen Seite entspricht seine Denkwelt dem damaligen Bildungsstand ("der primitive Ureinwohner") und somit natürlich auch rassistischen Vorurteilen bzw. Betrachtungsweisen, ich glaube aber nicht erkennen zu können, dass er daraus eine grundsätzliche Minderwertigkeit bestimmter Menschen herleiten wollte. Auf der anderen steht ja auch die individuelle Förderung des Menschen, unabhängig von Herkunft und Ethnie. Selbst die Nazis sind offenbar zu dem Schluß gekommen, dass Steiner eher das Gegenteil ihrer Ideologie darstellt als mit dieser vereinbar zu sein.
Ich persönlich kann jedenfalls in meiner eigenen Erfahrungswelt keinen grundsätzlich rassistischen Ansatz rein aus der Lehre heraus im heutigen Wirken der Instanzen erkennen. Was ich erkennen kann ist, dass auch die Anthroposophie nicht frei ist von Arschlöchern, die sich aus den "Überlegenheitsgedanken" ihrer quasi religiösen Denkwelt einen absolutistischen Handlungsraum schaffen, der durchaus auch menschenverachtend und überheblich sein kann.
Demgemäß bin ich auch kein Freund davon, grundsätzlich alles aus dieser Denkwelt zu verbieten. Ich denke, dass eine Gesellschaft es auch abkönnen muss, dass Menschen einer Denkwelt folgen, die andere als Geschwurbel betrachten. Das ist für mich immer noch etwas anderes als das grundlegende Gedankengut rassistischer Nazi-Jünger, die per Definition schon menschenfeindlich wirken. Ich habe ganz persönlich zwar eh schon meine Probleme mit Anhängern jedweder "GLAUBENS-" Richtungen, die aus Glauben gerne Wissen definieren und sich demnach herrisch und rechthaberisch verhalten, aber das ist mein eigenes Ding.
Ich weiß, dass ich aus eigener Erfahrung ganz sicher die ganze "Demeter-Welt" nicht unterstützen möchte und dies seit vielen Jahren nicht mache, auch wenn die Bio Produkte noch so gut sein mögen. So denke ich ebenfalls, dass jede/r für sich selber überlegen und danach handeln bzw. entscheiden sollte. Aber das grundlegende Verbot oder der Ausschluß von beispielsweise Voelkel wäre für mich eine Art "Markt-Zensur", die ich nicht begrüßen würde.
Nur mal meine 2-20 Cents dazu
.
Ps.: Ich trage mein Shirt mit der Aufschrift "Ich tanze so schlecht, dass meine Kumpels von der Waldorfschule denken, mein Name sei Renate" nicht nur völlig gerechtfertigt, sondern auch mit Stolz