Musikalische Erkenntnis(se) des Tages

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Hurrabärchi

nur zum Pöbeln hier
9 Okt. 2012
53.327
40.619
170
Ist das Kunst oder kann das weg?
Kann weg. :o
Immer wenn sich die Spitze ihres Ballettschuhs wütend in den Boden bohrt, entfährt der Tänzerin ein durchdringender Ton. Uiieh. Ob sich so Lust oder Schmerz äußern – Schmerzlust –, bleibt in der Schwebe. Bei Marie Chouinard hat das Ballett jedenfalls seine Unschuld verloren.

Mit „Body Remix/Goldberg Variations“ gelang dem Festival „Tanz im August“ eine fulminante Eröffnung. Es war zugleich ein programmatischer Auftakt, denn die Auseinandersetzung mit dem klassischen Ballett ist eine der Leitlinien des Festivals, das gemeinsam vom Hebbel am Ufer und der Tanzwerkstatt Berlin veranstaltet wird. Die ästhetischen Grabenkämpfe zwischen den beiden Lagern der Ballettomanen und der Modernen scheinen endgültig der Vergangenheit anzugehören.

Eine Apologie des Balletts hatte die kanadische Choreografin nicht im Sinn. Marie Chouinard hat ihre Tänzer nicht nur mit Spitzenschuhen, sondern auch mit Krücken, Prothesen, Stangen und Seilen ausstaffiert. Zurüstungen für die Unsterblichkeit sind dies vielleicht nicht. Aber Chouinard macht die Transformation des natürlichen in einen technifizierten Kunstkörper sichtbar und ruft Assoziationen an den Maschinenmenschen und an Freuds „Prothesengötter“ wach. Die neuen Technologien durchdringen längst nicht nur unser Bewusstsein, sondern auch unseren Körper. Bei Chouinard verbinden sich chromblitzendes Metall und nackte Haut, sie macht die Schnittstellen des Organischen und Unorganischen deutlich. Hybride Wesen, versehrt und bewehrt mit Spitze, Stab und Stange, trippeln und humpeln über die Bühne, eine Kreuzung aus Sexmaschinen, Ballett-Krüppel und empfindsamen Intelligenzen.

In immer neuen Anläufen werden die Körper rekonfiguriert, die Bewegungen werden zerlegt und neu zusammengesetzt in gut postmoderner Manier. Das wirkt oft skurril und selten monströs. „Body Remix“ ist zugleich ein Dialog mit Glenn Goulds legendärer Interpretation von Bachs Goldberg-Variationen. Die Wucht des Anschlags triftt den Zuhörer bis ins Mark, mit gleicher Vehemenz hämmern und klopfen die Tänzer den Rhythmus mit den metallverstärken Kappen ihrer Schuhe: Gefühl und Härte. Das musikalische und das tänzerische Material werden – so suggiert der Titel „Body Remix“ – auf analoge Weise manipuliert. Goulds Stimme ist nur verzerrt zu hören, etwa wenn er erläutert, dass er Bach gern unendlich langsam spielen würde. Das zerrt manchmal an den Nerven. Anders der Tanz, der bei aller Behinderung und Deformation eine eigene Schönheit behauptet.

Die Körper bemächtigen sich der Technik – und sind manchmal auch Gefangene ihrer Apparaturen. Kontrolle und Freiheit, das ist das große Thema des Stücks, das souverän mit Ambivalenzen spielt. Auch wo es die Vewandlung des Körpers in einen Fetisch zeigt. Mit ihren Gurten um Busen und Becken könnten die Damen einem S/M-Verlies entsprungen sein. Der zweite Teil ist stärker sexualisiert, doch die Bedeutungen geraten ins Gleiten. Die dressierte Weiblichkeit steht der phallischen Ballerina gegenüber. Es wird nach Kräften geseufzt und gestöhnt. Das Tanzen erscheint als Folter und als eine Art Ersatzbefriedigung. Das, was im Ballett verdrängt wird, kommt hier ans Licht.

Chouinard und ihren exzellenten Tänzern gelingt eine virtuose Meditation über die Schönheit und Verletzlichkeit des menschlichen Körpers. Zugleich wirft sie einen belustigten Blick auf das Mängelwesen Mensch und dessen unermüdliches Bestreben, die eigene Beschränkung zu transzendieren.

:o
 
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Nareklus

W:O:A Metalgod
18 Aug. 2008
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168
35
Raccoon-City
Immer wenn sich die Spitze ihres Ballettschuhs wütend in den Boden bohrt, entfährt der Tänzerin ein durchdringender Ton. Uiieh. Ob sich so Lust oder Schmerz äußern – Schmerzlust –, bleibt in der Schwebe. Bei Marie Chouinard hat das Ballett jedenfalls seine Unschuld verloren.

Mit „Body Remix/Goldberg Variations“ gelang dem Festival „Tanz im August“ eine fulminante Eröffnung. Es war zugleich ein programmatischer Auftakt, denn die Auseinandersetzung mit dem klassischen Ballett ist eine der Leitlinien des Festivals, das gemeinsam vom Hebbel am Ufer und der Tanzwerkstatt Berlin veranstaltet wird. Die ästhetischen Grabenkämpfe zwischen den beiden Lagern der Ballettomanen und der Modernen scheinen endgültig der Vergangenheit anzugehören.

Eine Apologie des Balletts hatte die kanadische Choreografin nicht im Sinn. Marie Chouinard hat ihre Tänzer nicht nur mit Spitzenschuhen, sondern auch mit Krücken, Prothesen, Stangen und Seilen ausstaffiert. Zurüstungen für die Unsterblichkeit sind dies vielleicht nicht. Aber Chouinard macht die Transformation des natürlichen in einen technifizierten Kunstkörper sichtbar und ruft Assoziationen an den Maschinenmenschen und an Freuds „Prothesengötter“ wach. Die neuen Technologien durchdringen längst nicht nur unser Bewusstsein, sondern auch unseren Körper. Bei Chouinard verbinden sich chromblitzendes Metall und nackte Haut, sie macht die Schnittstellen des Organischen und Unorganischen deutlich. Hybride Wesen, versehrt und bewehrt mit Spitze, Stab und Stange, trippeln und humpeln über die Bühne, eine Kreuzung aus Sexmaschinen, Ballett-Krüppel und empfindsamen Intelligenzen.

In immer neuen Anläufen werden die Körper rekonfiguriert, die Bewegungen werden zerlegt und neu zusammengesetzt in gut postmoderner Manier. Das wirkt oft skurril und selten monströs. „Body Remix“ ist zugleich ein Dialog mit Glenn Goulds legendärer Interpretation von Bachs Goldberg-Variationen. Die Wucht des Anschlags triftt den Zuhörer bis ins Mark, mit gleicher Vehemenz hämmern und klopfen die Tänzer den Rhythmus mit den metallverstärken Kappen ihrer Schuhe: Gefühl und Härte. Das musikalische und das tänzerische Material werden – so suggiert der Titel „Body Remix“ – auf analoge Weise manipuliert. Goulds Stimme ist nur verzerrt zu hören, etwa wenn er erläutert, dass er Bach gern unendlich langsam spielen würde. Das zerrt manchmal an den Nerven. Anders der Tanz, der bei aller Behinderung und Deformation eine eigene Schönheit behauptet.

Die Körper bemächtigen sich der Technik – und sind manchmal auch Gefangene ihrer Apparaturen. Kontrolle und Freiheit, das ist das große Thema des Stücks, das souverän mit Ambivalenzen spielt. Auch wo es die Vewandlung des Körpers in einen Fetisch zeigt. Mit ihren Gurten um Busen und Becken könnten die Damen einem S/M-Verlies entsprungen sein. Der zweite Teil ist stärker sexualisiert, doch die Bedeutungen geraten ins Gleiten. Die dressierte Weiblichkeit steht der phallischen Ballerina gegenüber. Es wird nach Kräften geseufzt und gestöhnt. Das Tanzen erscheint als Folter und als eine Art Ersatzbefriedigung. Das, was im Ballett verdrängt wird, kommt hier ans Licht.

Chouinard und ihren exzellenten Tänzern gelingt eine virtuose Meditation über die Schönheit und Verletzlichkeit des menschlichen Körpers. Zugleich wirft sie einen belustigten Blick auf das Mängelwesen Mensch und dessen unermüdliches Bestreben, die eigene Beschränkung zu transzendieren.

:o

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geilereichler

W:O:A Metalhead
12 Jan. 2013
594
451
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44
Leverkusen
Immer wenn sich die Spitze ihres Ballettschuhs wütend in den Boden bohrt, entfährt der Tänzerin ein durchdringender Ton. Uiieh. Ob sich so Lust oder Schmerz äußern – Schmerzlust –, bleibt in der Schwebe. Bei Marie Chouinard hat das Ballett jedenfalls seine Unschuld verloren.

Mit „Body Remix/Goldberg Variations“ gelang dem Festival „Tanz im August“ eine fulminante Eröffnung. Es war zugleich ein programmatischer Auftakt, denn die Auseinandersetzung mit dem klassischen Ballett ist eine der Leitlinien des Festivals, das gemeinsam vom Hebbel am Ufer und der Tanzwerkstatt Berlin veranstaltet wird. Die ästhetischen Grabenkämpfe zwischen den beiden Lagern der Ballettomanen und der Modernen scheinen endgültig der Vergangenheit anzugehören.

Eine Apologie des Balletts hatte die kanadische Choreografin nicht im Sinn. Marie Chouinard hat ihre Tänzer nicht nur mit Spitzenschuhen, sondern auch mit Krücken, Prothesen, Stangen und Seilen ausstaffiert. Zurüstungen für die Unsterblichkeit sind dies vielleicht nicht. Aber Chouinard macht die Transformation des natürlichen in einen technifizierten Kunstkörper sichtbar und ruft Assoziationen an den Maschinenmenschen und an Freuds „Prothesengötter“ wach. Die neuen Technologien durchdringen längst nicht nur unser Bewusstsein, sondern auch unseren Körper. Bei Chouinard verbinden sich chromblitzendes Metall und nackte Haut, sie macht die Schnittstellen des Organischen und Unorganischen deutlich. Hybride Wesen, versehrt und bewehrt mit Spitze, Stab und Stange, trippeln und humpeln über die Bühne, eine Kreuzung aus Sexmaschinen, Ballett-Krüppel und empfindsamen Intelligenzen.

In immer neuen Anläufen werden die Körper rekonfiguriert, die Bewegungen werden zerlegt und neu zusammengesetzt in gut postmoderner Manier. Das wirkt oft skurril und selten monströs. „Body Remix“ ist zugleich ein Dialog mit Glenn Goulds legendärer Interpretation von Bachs Goldberg-Variationen. Die Wucht des Anschlags triftt den Zuhörer bis ins Mark, mit gleicher Vehemenz hämmern und klopfen die Tänzer den Rhythmus mit den metallverstärken Kappen ihrer Schuhe: Gefühl und Härte. Das musikalische und das tänzerische Material werden – so suggiert der Titel „Body Remix“ – auf analoge Weise manipuliert. Goulds Stimme ist nur verzerrt zu hören, etwa wenn er erläutert, dass er Bach gern unendlich langsam spielen würde. Das zerrt manchmal an den Nerven. Anders der Tanz, der bei aller Behinderung und Deformation eine eigene Schönheit behauptet.

Die Körper bemächtigen sich der Technik – und sind manchmal auch Gefangene ihrer Apparaturen. Kontrolle und Freiheit, das ist das große Thema des Stücks, das souverän mit Ambivalenzen spielt. Auch wo es die Vewandlung des Körpers in einen Fetisch zeigt. Mit ihren Gurten um Busen und Becken könnten die Damen einem S/M-Verlies entsprungen sein. Der zweite Teil ist stärker sexualisiert, doch die Bedeutungen geraten ins Gleiten. Die dressierte Weiblichkeit steht der phallischen Ballerina gegenüber. Es wird nach Kräften geseufzt und gestöhnt. Das Tanzen erscheint als Folter und als eine Art Ersatzbefriedigung. Das, was im Ballett verdrängt wird, kommt hier ans Licht.

Chouinard und ihren exzellenten Tänzern gelingt eine virtuose Meditation über die Schönheit und Verletzlichkeit des menschlichen Körpers. Zugleich wirft sie einen belustigten Blick auf das Mängelwesen Mensch und dessen unermüdliches Bestreben, die eigene Beschränkung zu transzendieren.

:o
Immer wieder faszinierend, wieviel Schwachsinn man über Schwachsinn schreiben kann :o
Sowas erinnert mich inhaltlich immer and das: