"Der Letzte nimmt den Scheck und macht das Licht aus"
Rund 700 Beschäftigte haben vor der IBM-Hauptzentrale in Stuttgart-Vaihingen demonstriert. Die Mitarbeiter wehren sich gegen die geplante Schließung der Betriebsstätten in Hannover und Schweinfurt. Sie befürchten, dass noch mehr Stellen gestrichen werden.
Der Lärm ist ohrenbetäubend - Trillerpfeifen, Buhrufe, Ratschen. Teilweise versteht man die Redner nicht. Die Mitarbeiter der IBM, wahrlich nicht kampferprobt, haben das kleine Einmaleins der Demonstration schnell gelernt. Sie schwenken Fahnen, halten Transparente und haben T-Shirts über Hemden oder Pullover gestreift: "IBM - 9 Billion Dollar Profit are not enough to preserve my Job" steht drauf. "9 Milliarden Dollar reichen nicht, meinen Job zu erhalten".
"Heller Wahnsinn" kommentiert ein Teilnehmer. Dies sei die "erste Kundgebung bei der IBM seit 50 Jahren in dieser Größe", sagt Rolf Schmid, der die IBM in der Gewerkschaft Verdi vertritt und auch im Aufsichtsrat des Computerherstellers sitzt. Rund 700 Demonstranten stehen auf der Brücke und blockieren den wichtigsten Zugang zur IBM-Hauptverwaltung im Stuttgarter Stadtteil Vaihingen. Aus Hannover, Düsseldorf, Schweinfurt, Frankfurt kommen sie - weitere Namen gehen im Krach unter. Sie demonstrieren gegen die Pläne der IBM, die beiden Betriebsstätten Hannover und Schweinfurt zu schließen. 600 Mitarbeiter sollen dort ihre Arbeitsplätze verlieren. Seite an Seite werden Fahnen von Verdi und der IG Metall geschwenkt.
Der Mann mit dem Transparent, der am Geländer lehnt, kommt aus Schweinfurt. Zwei Abfindungsgespräche wurden mit ihm geführt. Druck sei auf ihn ausgeübt worden, erzählt er. "Die haben deutlich gemacht, dass es solche Bonbons künftig nicht mehr geben wird." Das Bonbon ist die Höhe der Abfindung. Künftig - dieses Wort steht für seine wohl anstehende Kündigung. Vor sieben Jahren kam er zur IBM; glaubte einen sicheren Job zu haben. Seine internen Bewerbungen brachten ihm nur Absagen ein. "Wenn ich meine Kündigung erhalte, reiche ich sie gleich an einen Anwalt weiter", sagt er kampfbereit. Er gehört zu denjenigen, die Klagen wollen. Viele sind es nicht; drei Viertel der Betroffenen in Hannover und Schweinfurt haben das Abfindungsangebot des Unternehmens unterschrieben.
Sie werden nicht die einzigen bleiben. Denn der Abbau bei der IBM-Tochter Business Service (BS) in Schweinfurt und Hannover sei kein BS-Problem, sondern ein Konzernproblem, warnt Michael Euler, der Vorsitzende des Konzernbetriebsrats bei der IBM. "Dunkelblau ist kein Schutz mehr", fügt er hinzu. "Dunkelblau" steht für die Mitarbeiter aus der Konzernzentrale. Weitere Maßnahmen seien geplant. Bis Ende des zweiten Quartals haben "weitere 600 Mitarbeiter die ehrenwerte Aufgabe, einen Aufhebungsvertrag zu unterschreiben", sagt Euler sarkastisch. "Völlig freiwillig", natürlich. Entsprechende Angebote sollen offensichtlich die Mitarbeiter erhalten, die die Ziele im Unternehmen nicht erreichen. Und das scheinen immer mehr zu sein. Denn die Leistungsbewertung sei verschärft worden.
Der IBM geht es um Einsparungen. 50 Millionen Euro sollen es an den beiden Standorten Hannover und Schweinfurt sein. Warum 50 Millionen Euro? Dies habe die Geschäftsleitung nie erklärt, kritisiert Euler. Er stellt eine einfache Aufgabe: Bei 600 Mitarbeiter kann das Unternehmen 50 Millionen Euro sparen, wie viel sind es bei 1000 Beschäftigen? Jürgen Stamm treibt die Rechnung noch weiter: "Der letzte nimmt den Scheck und macht das Licht aus", ruft er den Demonstranten zu. "Doch womit will die IBM dann in einigen Jahren Geld verdienen?", fragt er.
Neun Milliarden Dollar Gewinn hat der Computerkonzern 2004 erzielt. Die deutsche Tochter habe einen satten Beitrag dazu geliefert, ruft Verdi-Chef Frank Bsirske den Menschen zu. Dies reiche der US-Zentrale nicht. Deshalb die Sparmaßnahmen in Hannover und in Schweinfurt. Die Stellen sollen gestrichen, die Arbeiten ins billigere Ausland - nach Ungarn und Tschechien - verlagert werden. Dabei sei Schweinfurt der billigste IBM-Standort in Deutschland. Das hat den Mitarbeitern den Spitznamen "Tschechen in Deutschland" eingebracht.
"Das irritiert. Macht betroffen. Macht wütend", ruft Bsirske ins Mikrofon. Doch kann es überhaupt funktionieren? Experten gehen davon aus, dass eine solche Verlagerung zwei Jahre dauert, erläutert er. IBM will es bis Ende September über die Bühne bringen. Bis dahin soll die Technik installiert und die neuen Mitarbeiter eingearbeitet sein. Lehrer sind dabei diejenigen, die ihren Arbeitsplatz verlieren. Doch so einfach, wie die IBM es meint, scheint es nicht zu gehen. Erste Kunden scheinen bereits abzuspringen. Conti soll dabei sein. Der Autozulieferer habe mehrere Verträge mit der IBM, einige davon seien neu ausgeschrieben. Auch mit Hapag Lloyd scheint es nicht reibungslos zu laufen. Es soll sogar schon zu Computerausfällen von erheblicher Dauer gekommen sein. Schwierigkeiten gebe es auch deswegen, weil in einigen Verträgen mit Kunden explizit stehe, dass sie vom Inland aus betreut werden - eine Verlagerung ins Ausland dürfe nicht ohne ihre Zustimmung erfolgen.
IBM sei dabei, ihren guten Ruf zu verspielen, warnt Jürgen Stamm, der erste Bevollmächtigte der IG Metall in Baden-Württemberg. Und dies aus kurzfristigen finanziellen Gesichtspunkten. Er rief die Beschäftigten auf, sich gegen die anstehenden Kündigungen zu wehren. "Was bei Opel möglich war, müsse doch auch bei der IBM gehen", rief ein Demonstrant dazwischen. Doch Stamm warnte auch - so einfach wie bei Daimler könne man IBM nicht wehtun. Die Produktion eines Autoherstellers könne man lahm legen, bei IBM sei dies nicht möglich. "Doch ihr seit nicht ohne Chancen", rief er den Demonstranten zu. Er sprach von Akzeptanzentzug, von Solidarität. "Dann müssen sich die da drin ganz schön warm anziehen." Eine Stunde dauerte die Kundgebung. Stunden vorher war das Haupttor zur deutschen IBM-Zentrale geschlossen worden.
Quelle: Stuttgarter Zeitung online
Leider war ich bei der Demo nicht dabei...