Äh, nee. Echt nicht. Ich weiß, worauf du hinaus willst, aber das ist wirklich zu kurz gedacht. Menschlich (exakt) die selben Vorraussetzungen haben vielleicht noch kleine Kinder, aber keine (jungen) Erwachsenen, die unter völlig anderen Umständen sozialisiert wurden. Weil Hirni das ja bereits ansprach, greif ich als Beispiel einfach mal den Punkt "Frauenbild" auf: Ich muss nicht in die Zeitung gucken oder in irgendwelchen Hetz-Foren stöbern, um zu wissen, dass da bei vielen männlichen Flüchtlingen gewaltig was im Argen liegt. Das erleb ich schließlich selber oft genug, da ich zu denen gehöre, die aktiv auf Flüchtlinge zugehen. Weißt du, wie oft das missverstanden wird? Und ich meine "missverstehen" durchaus wörtlich. Ich bezeichne die dann nichtmal automatisch als Arschloch, weil ich weiß, dass die das eben so "gelernt" haben. Kann natürlich ganz unterschiedlich ausfallen: Von offensichtlich ernst gemeinten und hartnäckig vorgetragenen Heiratsanträgen nach 20 Minuten Gespräch bis hin zu Arschgrabschen 5 Minuten nach dem ersten Kennenlernen und aber auch schlimmerem war schon alles dabei.
Wir haben hier nichtmal sooo viele Flüchtlinge, aber allein über solche Vorfälle könnte ich dir n kleines Buch schreiben. Die Fälle betreffen natürlich auch andere Frauen.
Mit einem Flüchtling aus Guinea hier freunde ich mich zur Zeit echt gut an. Super Typ, gehen am We schonmal zusammen n Bierchen zischen. Er verhält sich Frauen gegenüber, nach "unseren" Maßstäben, völlig "normal". Sagt aber auch selber, dass man als Frau n bisschen aufpassen sollte, wie man sich, auch seinen Landsleuten gegenüber, verhält. Ruckzuck giltst du als Freiwild.
Ich schreib im Mom nen Artikel über unsere Flüchltinge hier, in dem n paar auch mal selber zu Wort kommen sollen. Also was sie gerne verbessert hätten, was sie gut finden und sie sollen auch mal kurz umreißen, was sie zur Flucht getrieben hat. Dazu werd ich auch in eine Unterkunft gehen. Aber das werde ich unter keinen Umständen ohne mindestens eine männliche Begleitung tun.
Wie gesagt, ich verstehe durchaus, worauf du hinaus willst. Aber um jetzt mal bei Guinea zu bleiben: Dort sind über 95% der Frauen genitalverstümmelt, ("beschnitten" ist imho ein Euphemismus), weil sie sonst als unrein u.ä. gelten. Es ist doch vollkommen BESCHEUERT (sorry), anzunehmen, dass Männer aus diesem Land nun hier her kommen, und uns Frauen hier, die nicht nur unbeschnitten sind, sondern sogar in kurzen Klamotten rumrennen und ihre Geschlechtspartner frei auswählen, sofort als vollwertige Menschen mit allen nur denkbaren Rechten anerkennen.
*kopfkratz*
Da hast Du natürlich Recht, was die Sozialisierung angeht, das hatte ich ein bisschen ausgeblendet. Gerade was Gleichberechtigung und Sexismus angeht, bekommen Flüchtlinge von Zuhause weg nicht die gleichen Voraussetzungen mit, wie hier Geborene. Dass Übergriffe und Sexismus überhaupt nicht als Unrecht gesehen werden, ist ja sogar hierzulande teilweise noch in den Köpfen drin. Oder siehe aktuell Indien.
Deswegen hatte ich gerade Gewalt gegen Frauen nicht konkret thematisiert, sondern war auf allgemeines Gewaltaufkommen abgestiegen. Da muss man natürlich auch sehen, dass Flüchtlinge oftmals durch ein mit Gewalt aufgeladenes Umfeld (Regime, Repression, Krieg, Überlebenskampf) geprägt sind und bei entsprechenden Randbedingungen in erlernte Verhaltensmuster verfallen. Allerdings ist es eine logische Folge, dass auch Gewalt gegen Frauen mit durch ein Gewalt begünstigendes Umfeld ebenso begünstigt wird, wenn grundsätzlich sexistische Verhaltensweisen nicht als Unrecht gesehen werden.
Das sind vorrangig die Beobachtungen, die auch so belegbar sind.
Mich treibt immer die nächste Schlussfolgerung um, die daraus gezogen wird. Die äußert sich in der Form
- deren Kultur ist mit unserer nicht kompatibel,
- die sind von Haus aus kriminell,
- integrieren werden die sich sowieso nicht,
- wenn sie sich einmal was zu Schulden kommen lassen, ist ja klar, dass das nur Verbrecher sind, dann müssen die weg.
Das in verschiedenen, mehr oder weniger radikal geäußerten, Abstufungen. Konträr dazu ist es aber einfach falsch, dass Gewalt und Unrecht in der Kultur verwurzelt wäre. Und jetzt kommt das große Aber: wenn strukturelle Bedingungen wie eine Sammelunterkunft nicht alleinursächlich diese Gewalt bedingen, wie lässt sich dann erklären, dass eine Abwesenheit dieser Faktoren die Gewalt bis auf ein "normales" Niveau absinken lassen?
Ich glaube nicht, dass ein Geflüchteter von Stunde Null an dieselben Wertvorstellungen entwickelt hat wie ein in behütetem Umfeld sozialisierter Mensch. Ich glaube aber, dass das Zurechtfinden in einer neuen Gesellschaft und die Adaption dieser Werte besser und schneller vonstatten geht, wenn gleich von Beginn an integrativ gedacht wird und ghettoisierte, isolierte Umfelder vermieden werden. Deswegen ist der gesamte Umgang mit dem Flüchtlingsaufkommen zur Zeit kontraproduktiv, und die Kapazitäten werden mittelfristig dem Bedarf auch nicht gerecht werden, weil die Bereitschaft nicht da ist, überhaupt Kapazitäten oberhalb dessen, was als absolut notwendig angesehen wird, aufzubauen und zu erhalten.
Also sind imho die meisten Probleme hausgemacht.
Ich bin mal gespannt auf Deinen Artikel und würde mich freuen, wenn ich den mal lesen dürfte.