Lange war der NPD das Internet suspekt - jetzt entdeckt sie es als Plattform für Video-Propaganda. Im Herbst wollen die Rechtsextremen auf YouTube eine Art Wochenschau starten. Erste Testsendungen von NPD-TV in Tagesschau-Optik kursieren schon im Netz.
Von Matthias Gebauer
Udo Pastörs, NPD-Spitzenkandidat in Mecklenburg-Vorpommern.
© dpa
Berlin - Der Anzug ist ein bisschen groß, die Stirn glänzt. Marcel Wölls Stimme hört sich an wie aus einer Blechdose. "Guten Abend, meine Damen und Herren", sagt der junge Mann mit dem Bürstenhaarschnitt in die Kamera, "in Mecklenburg-Vorpommern hat die NPD mit 7,3 Prozent den Einzug in den Landtag klar geschafft." Die Hände liegen sicher wie bei einem Profi-Nachrichtensprecher neben den Papieren. Nur ab und an muss Wöll auf die gelben Zettel vor ihm auf dem polierten Holztisch schauen. Hinter ihm eine tiefblaue Wand mit antiker Europakarte, Bilder zu den Beiträgen tauchen links von ihm auf.
Frappant erinnert das Bild an die tägliche Tagesschau: der helle Holztisch, das nüchterne Blau, die Schriftart ist sehr ähnlich, selbst die Namens-Einblendungen unten am Bildschirmrand sind Deutschlands wichtigster Nachrichtensendung nachempfunden. Allerdings dauert Wölls Sendung nur zehn Minuten statt einer Viertelstunde - und auch das Senderlogo rechts oben stört das Bild: Statt der ARD-"1" ist dort die "Schwarze Sonne" zu sehen. Ein Symbol aus der verworrenen Nazi-Mythologie, ganz besonders beliebt bei dem skrupellosen und von Neonazis heute noch immer verehrten SS-Führer Heinrich Himmler.
"Kritische Nachrichten" für das NPD-Volk
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Was NPD-Aktivist Wöll aus seinem kleinen Heimatnest Butzbach in Hessen heraus sendet, nennt sich "Die Woche". Bisher ist er hauptsächlich durch seine Aktivitäten in der rechten Jugendgruppe JN aufgefallen - jetzt verspricht er "Kritische Nachrichten", so steht es im Titel seiner ganz speziellen Sendung. Im Zentrum der Berichte steht die NPD: Nacheinander werden kleinere Demos oder Aktionen der Partei gecovert - oder eben der Gedenkmarsch für Rudolf Hess. Am Ende der ersten Sendung von NPD-TV versuchen die Macher sogar, eine Live-Schaltung zu ihrem Vordenker Jürgen Rieger zu inszenieren.
Das wirkt dilettantisch. Noch zumindest. Denn was seit dem 10. September auf den Seiten des Video-Portals YouTube für jeden Internet-Nutzer zu sehen ist, ist nur der Test für eine neue Propaganda-Plattform der rechtsextremen NPD.
Die bisher zwei Sendungen des NPD-Kaders Wöll sind der Vorläufer für ein regelrechtes NPD-TV, mit dem die Partei in Zukunft online auf Wählerfang gehen will. "Bald werden wir jede Woche über das Internet eine Nachrichtensendung aus unserer Parteizentrale verbreiten", sagt Parteisprecher Klaus Beier auf Nachfrage von SPIEGEL ONLINE.
Die Fernsehpläne der NPD sind handfest: Noch am Dienstag trafen sich mehrere hohe Funktionäre in der Parteizentrale, um Details abzustimmen. Statt Wöll soll eine Frau die Sendung moderieren. In den Videos will die Partei zu "allen relevanten Themen des Zeitgeschehens Stellung nehmen, hauptsächlich zur Politik", kündigt Beier an. Regelmäßig werde Parteichef Udo Voigt zu Wort kommen. Viel will Beier über den Internet-Sender nicht verraten; als Pressesprecher und "Beauftragter für neue Medien" ist er auch Chef von NPD-TV. Die Planungen seien in vollem Gange: Voraussichtlich zum Parteitag Mitte November will man "voll online" sein mit der Wochenschau.
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Das Fernsehangebot bricht mit der bisherigen NPD-Politik im Internet: Lange hatte sie das Netz gescheut, gern als imperialistische Erfindung aus den USA abgetan. Das World Wide Web deutschte sie zum "Weltnetz" ein, E-Mails zur "E-Post". Allmählich aber entdecken die Rechtsextremen die Möglichkeiten des Internets für ihre Zwecke. "Die Wahlberichterstattung hat gezeigt, dass die Systemmedien uns als demokratische Partei nicht vorkommen lassen", sagt Beier, "deshalb müssen wir den Weg zu unseren Anhängern selber suchen." Die Maxime: Wenn wir in der ARD nicht zu Wort kommen, wie wir wollen, bauen wir uns einfach eine eigene Tagesschau.
In welche Richtung die NPD ihre Nachrichten drehen will, zeigen Marcel Wölls Testsendungen. Nach den Wahlen in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin widmete man sich ganz dem großen Erfolg der Partei: Ausführlich und mit Grafiken, die voll Fleiß am Heimcomputer erstellt wurden, feiert Wöll in der Sendung jene Berliner Stadtteile, in denen die NPD über fünf Prozent kam - und damit in die Bezirksparlamente einrückte. Dann wird NPD-Chef Udo Voigt aus der Parteizentrale gezeigt, wiederum scheinbar live und selbstverständlich mit Deutschlandfahne im Hintergrund. Artig bedankt er sich bei Anhängern und Wahlkämpfern und verspricht, sich "auf diesem Wege" bald wieder zu melden.
Die Nachrichtenwelt, wie sie der NPD gefällt: Konsequent suchen die Macher der Sendung Themen aus, die angeblich von den "Systemmedien" (NPD-Jargon) verschwiegen werden. Da beschimpft der Chef der Bundeszentrale für politische Bildung angeblich alle "Mitteldeutschen" als Ignoranten. Anderswo in Ostdeutschland gehen Ausländer immer wieder auf Deutsche los. Aus Köln wird über ein Viertel berichtet, das seine nichtdeutschen Bürger loswerden will. Garniert wird der rechtsextreme Nachrichten-Mix mit dem Lob einer Ausstellung in Teheran, die den Holocaust als Hirngespinst bezeichnet.
Die ARD fragt die Juristen
Die NPD setzt für ihr Netz-Programm nicht zuletzt auf ihre eigenen Anhänger. Im Abspann werden sie aufgefordert, "im Sinne der nationalen Sache" Bildmaterial einzuschicken und die Redaktion mit Nachrichten zu versorgen. Gleich in der ersten Sendung tauchte auch Amateur-Material von einer NPD-Demo vor einem jüdischen Zentrum und von einem Gedenkmarsch für Rudolf Hess auf. In Zukunft könnte die NPD die Vorteile der Web-2.0-Idee vom freien Austausch von Bildmaterial für sich nutzen - mit der Sendung als Grundlage dafür.
Bei der ARD war man von der Existenz einer rechtsextremen Tagesschau-Abart überrascht - und leicht schockiert. Zumindest bei den Chefs der Sendung war das NPD-Imitat bis zum Dienstagabend nicht bekannt. Trotzdem zeigten sich die Verantwortlichen an dem Material aus dem Netz sehr interessiert: Sie baten umgehend nach den Internet-Adressen der öffentlich zugänglichen Videos.
Nach der Durchsicht gab man sich moderat - vorerst zumindest. "Die Sendungen, die im Moment im Netz sind, kommen recht dilettantisch daher", sagte ARD-Aktuell-Chef Kai Gniffke SPIEGEL ONLINE. Es seien zwar "Stilelemente der Tagesschau" übernommen worden, deshalb wolle er die beiden Videos zumindest den Hausjuristen zur Prüfung überlassen. "Wenn die Sendung aus der Parteizentrale jedoch am Ende ein Imitat der Tagesschau wird, das man verwechseln könnte, werden wir mit allen Mitteln dagegen vorgehen", kündigte der Chef der ARD-Nachrichtensendung an.