Hallo, mein Name ist Kolbe... Und ich bin TOURIST!
Ich höre schon das dezent einsetzende Geklatsche und die aufmunternden Worte:
"Bravo... Super Kolbe... Das hast du ganz toll gemacht... Das ist der erste Schritt... Kannst dich wieder setzen..."
Ich bin ein Tourist. Jawohl.
Ja, ich gebe es zu. Ich gehöre nicht zu den ultra-hardcore Metallern, die sich den ganzen Tag bei voller Lautstärke brachiale Mucke reinziehen. Und dann natürlich nur das wirklich wahre, also ich meine jetzt das so richtig echte, true Zeugs. Was ist das eigentlich so genau???
Und obwohl ich in meinem Leben nie weiter als etwa 25-50 km von "Heavy Metal Town" weg gewohnt habe, verschlägt es mich 2014 mit dann vollendeten 40 Lenzen erstmals dorthin. Warum nur? Warum erst jetzt? Warum nicht vorher? Was will ich da? Bin doch schon so lange "ohne" ausgekommen. Muss das jetzt sein? Nimmst doch nur den "Echten" einen Platz weg.
Ja. Es muss! Punkt.
Ich kann mich noch gut an die Zeit erinnern, als ich mit meinen Kumpels als spätpubertierender Heranwachsender umliegende Zeltfeste und Stoppelfeten (gibt es sowas heute überhaupt noch?) unsicher gemacht habe. Manchmal hieß es: "Ey, nächste Woche is Wacken. Kommst du mit" und ich fragte "Wo is'n das?". Man muss dazu wissen, Wacken ist von meiner alten Heimat in Dithmarschen nur einen Steinwurf entfernt. "Ditschie-Land" ist darüber hinaus der wohl einzige Landkreis der Republik, der vollständig von Wasser umgeben ist (Kann mich aber auch irren). Man fühlte sich dort "sicher" und geborgen. Land jenseits des Wassers war Ausland. Und Bayern Österreich. So!
Eine Reise über "den Kanal" erschien da wenig sinnvoll, ja geradzu als gefährliches Abenteuer. Damals. Als es mit der örtlichen Orientierung noch etwas haperte. Ich kannte ja meine Gegend. Das reichte.
Fest steht. Ich war nie mit. Ich hab's vergeigt, verbockt, hätte aus heutiger Sicht sagen können "Ach damals, da war alles anders. Besser eben. So Anfang, Mitte der 90er".
Verkackt, würde ich sagen. Dabei hätte mein damaliges musikalisches Interesse durchaus gepasst. Kreator (auf die ich mich 2014 sehr! freue) gehörte da durchaus zu meinem Repertoire. Genauso wie Queensryche, Motörhead (ich hoffe, sie holen den Rest der diesjährigen Show nach) und anderes Zeugs. In den folgenden Jahren hatte ich nie die wirkliche Gelegenheit. Beruf eben. Interessen haben sich verschoben, Familie bla bla bla...
Und warum heute? Jetzt kommt's: Weil ich es mir mal ansehen möchte. Nach all den Jahren. Weil es mich interessiert und ich denke, jetzt ist der richtige Zeitpunkt dafür.
Midlife Crisis? Nee, dann kaufe ich mir doch lieber ein teures Cabrio und tausche meine Lebensgefährtin gegen ein etwas jüngeres Modell aus, fahre doch aber nicht nach Wacken. Also wirklich Leute, was denkt ihr nur.
Wie neidvoll habe ich in den letzten Jahren so manchen Artikel gelesen und Berichte von Bekannten gehört und gedacht: "Das müsstest du jetzt aber auch mal mitmachen. Naja, nächstes Jahr vielleicht". Hat aber trotzdem nie geklappt.
Und die Musik?
Nun, auch hier bin ich ehrlich. Ich kann Trash nicht von Black nicht von wasauchimmer Metal unterscheiden. Aber ich glaube, das ist auch nicht so wichtig. Ich bin von der schon damals leicht schiefen, truen, Bahn abgekommen, um mich dann eher im Hard Rock Sektor und gelegentlich auch dem Mainstream wiederzufinden. Aber auch heute noch kann ich mit metallischen Klängen durchaus etwas anfangen. Manowar, Iron Maiden, Metallica (ist das nicht auch Mainstream?) usw. und so fort. Aber in Maßen.
Viele Bands, die 2014 auftreten (werden), sagen mir wahrscheinlich gars nichts.
Ich Uwissender. Daher habe ich einen Schlachtplan:
Ich werde mir jede Band, die ich nicht kenne, ergoogeln, mir die Vita und deren Musik reinziehen und entscheiden:
Scheiße - wenn es passt ansehen - auf jeden Fall ansehen.
Wie fiel eigentlich die Entscheidung?
Ihr glaubt es nicht. Nein, das kann ich euch nicht sagen. Ihr haltet mich bestimmt für bekloppt. Vor'm Fernseher.
Soll ich euch sagen, was mein erster Gedanke war, als ich nach einem Jubelsprung zur Feier des um 2:57 erworbenen (Nein. Mit F5 hart erfochtenen!) X-mas Tickets beim Aufschlagen auf dem harten Boden der Realität gedacht habe?
Meine Hauptsorge im Freudentaumel über meine erste Wacken-Karte war:
SCHEIßE...
...ich hab' nix anzuziehen...
Aber das werde ich noch ändern, dachte ich mir. Habe ja noch genügend Zeit. Aber auch trotz der von meinem normalen "Geschmack" abweichenden Kluft wird man mich sicherlich stets als Touristen erkennen können. Denn ich bin ja einer.
Wisst ihr was jetzt meine Sorge heute ist? Nach dem vielem Lesen hier im Forum? Als Einheimischer "Tourist" nicht Willkommen zu sein. Schief angeguckt oder blöde angemacht zu werden. Denn ich bin ja Tourist. Anders als die Anderen. Man könnte sogar davon sprechen: Einzigartig. So wie alle Anderen auch.
Ich kann nicht mitsingen, beim Headbangen breche ich ungeschickter Tollpatsch mir sicher das Genick, Schlamm mag ich zwar nicht so sehr, gehört ja wohl aber auf einer Kuhweide (!!!) unweigerlich irgendwie dazu. Als Einheimischer wird man mit dem Wetter hier an der Küste aber eh groß. Man kennt das.
Da stellt man sich zwangsläufig die Frage: Muss ich jetzt alle Liedtexte auswendig lernen? Pogen üben?
Das machen meine Knochen doch gar nicht mehr mit.
Gibt es Wohlgefallensregeln für Touristen? Einen Moshpit überlebe ich jedenfalls nicht.
Ich kann nur:
Gucken. Still mitwippen, in den hintersten Reihen natürlich. Ich will ja keinem truen Metaller, der so richtig abgehen möchte, einen guten Platz wegnehmen. Ich kann mich benehmen und wurde gut erzogen! Bin immer hilfsbereit und höflich.
Ich kann lauschen, zu den Klängen der Musik. Und saufen...
Reicht das trotzdem? Irgendwie?
Ich möchte doch eigentlich nur das bunte Treiben bestaunen. Die Atmosphäre genießen, eintauchen in eine nicht alltägliche Welt. Ich freue mich darauf, mit ein paar Gleichgesinnten ein paar coole Leute kennen zu lernen. Frauen darf ich aber leider nicht. Habe ja meine Lebensgefährtin dabei. Ebenfalls Touristin. Ich freue mich auf geile Shows, geile Aftershow Parties, abgefahrene Typen, geile Weiber (nur gucken!
), tolle Bands, laute Gitarren, Camp-Feten und darauf, den Schädel bei ner Tass Kaff und den Klängen der Firefighters wieder klar zu bekommen. Naja, was man eben so als Tourist gerne möchte.
Bliebe nur noch die Frage zu klären: Wer ist eigentlich
kein Tourist? Und wieviele gibt es davon?
Nun, als Alt-Dithmarscher und Neu-Steinburger will ich es euch sagen.
Deutlich weniger als 5%, würde ich mal tippen.
Den anderen 95% wünsche ich 2014 eine gute Anreise. Fahrt vorsichtig. Kommt heil an. Wir wahren (truen) Küstenbewohner werden euch Metal-Touristen warm und herzlich empfangen, wie es in jedem Jahr Brauch ist.
Und wenn wir uns treffen, trinken wir einen zusammen und hören uns die Mucke an. Ok?
Ich hoffe, ihr habt dieses Outing mit einer kleinen Portion Humor genossen.
In diesem Sinne. Gute Nacht.
Ein Wacken-Tourist in Erstverwendung.
P.S.: Warum hat das Forum hier eigentlich keine vernünftigen Smilies?!? Ist ja gruselig...