Für mich ist die Willkür durch den Wohnort, beim Fußball wohl das größte Hindernis. Ich kann mich schwer tiefer auf etwas einlassen, bei dem ich das Gefühl habe, wenn ich 100km weiter in die andere Richtung wohnen würde, wäre das Ding mein "Herzverein".
Ist voll ok, wenn Du Dich nicht darauf einlassen kannst.
Ich war bei meinem "Herzverein" mit 7 das erste Mal im Stadion. Die Atmosphäre hat mich beeindruckt, das Spiel war mir egal.
Heute weiß ich: Ich bin nicht 100 km weiter aufgewachsen, sondern genau dort. Die Menschen haben den gleichen Zungenschlag, sind meine Freunde, meine Arbeitskollegen, meine Familie. Jedesmal, wenn ich dorthin zurückkomme, habe ich das Gefühl von Heimat.
Ich habe gegen die U23 meines Herzensvereins Fußball gespielt. Ich habe die Spieler beim Einkaufen oder bei Kreisliga-Spielen beim Zuschauen getroffen. Der Vizepräsident ist der Nachbar meiner Eltern. Ein Spieler hat mal nach dem Training meine Schwester nach Hause gefahren. In der Sommervorbereitung haben wir versucht, die Profis beim Treppenlaufen zu überholen. Bei Hobby-Turnieren von Amateurvereinen der Gegend spielt die Legenden-Mannschaft mit. Die Spieler engagieren sich in der Region für soziale Projekte, auch wenn sie längst bei einem großen Verein spielen. Ein Spieler aus meinem Dorfverein ist beim großen Stadtverein Profi geworden. Der Stadionsprecher ist inzwischen Trainer des Dorfvereins. Im Stadion stehen (inzwischen: sitzen) samstags neben mir Menschen, gegen die ich sonntags selbst spiele (inzwischen: gespielt habe), und fiebern mit mir zusammen.
Du hast Recht - wenn ich 100 km weiter aufgewachsen wäre, wäre es vielleicht ein anderer Verein. Bin ich aber nicht. Die Dinge, die erzählt habe, sind Teil meines Lebens. Sie haben mich mitgeprägt. An einem anderen Ort hätten sie mich vielleicht anders mitgeprägt.
Wie gesagt - es ist voll ok, wenn Du Dich nicht darauf einlassen kannst. Aber vielleicht ist es jetzt verständlicher, warum andere Menschen es können.