Ja, wer denkt sich das mittlerweile nicht? Ich habe nun hier auch einiges wieder an Kritik durchgelesen und überlegt, wo man denn mal seinen Senf noch dazupacken kann und da ist dieser Thread und auch Dein Posting ein passender Startpunkt dafür. Warum? Nun - die grobe Theorie... WENN alle Leute, die aufs Festival gehören.... natürlich ist nachvollziehbar, wie es von Dir gemeint ist, aber es lässt sich halt kaum noch vermeiden, dass zumindest viele Leute, die Wacken mit groß gemacht haben, nicht mehr das in dem Festival sehen, was sie mal darin gesehen haben.
Die ganze Entwicklung ist eigentlich eine völlig normale und nachvollziehbare, ja sogar schlicht extrem einfache Entwicklung, die man mit zunehmender Größe nicht verhindern kann - siehe auch das Ausgangsposting hier.
Ich habe jedenfalls den subjektiven Eindruck, dass immer mehr Leute kommen, die gehört haben, dass man in Wacken "die Sau raus lassen kann" und "alles erlaubt" ist und "nichts zu schäbig".
- die einen meinen, sie könnten alles vögeln, was nich bei drei auf den Bäumen ist (was ja grundsätzlich nich verwerflich ist, aber nervt, wenn es anscheinend nur noch darum geht)
- die nächsten wollen laute Musik jeglicher Prägung hören und wemsen einen die halbe Nacht mit Schlagern, Techno und sonstigem "ach so lustigen Gerümpel" voll
- die nächste Klientel sind teilweise sogar Kegelclubs, die mit lustigen T-Shirts schlagersingenderweise alle Leute zum karnevalistischen Schunkeln auffordern
- sehr beliebt auch: ich besaufe mich zur Nähe der Besinnungslosigkeit, weil ja gerade total egal ist, was ich besoffen mache. Wenn ich dann noch jemandem ins Zelt kacke oder aufn Tisch pisse, dann bin ich total metal und vor allem obercool
- aggressives Auftreten ist natürlich Pflichtbedingung, weil einen sonst die harten Leute nicht aufnehmen und außerdem darf man ja eh alles, was man will
- wichtig auch: ich finde schon, dass auch junge Leuts die Grenzen irgendwo einfach noch nicht richtig drin haben, aber es ist definitiv NICHT auf junge begrenzt - ganz im Gegenteil, ich glaube, die dicksten Idiotien, die ich dieses Jahr so mitbekommen habe, gingen fast sogar schon eher von "erwachsenen" aus.
Das alles ist jedoch einzig und allein dem Umstand geschuldet, dass Wacken auch immer so - vor allem in den Medien - genauso präsentiert wurde. Jahrelang lief doch die Berichterstattung nur nach dem Motto Titten, Rocker, harte Schweine und saufen. Niemand hat sich dafür interessiert, wie sich die die Gemeinde an sich innerhalb verhalten hat - vielleicht kann man das auch gar nicht berichten, wenn mans nicht mitgemacht hat.
Mittlerweile stehen Politiker aufm Gelände, grinsen mit irgendwelchen Metallern lustig in die Kamera und sind "dauerkumpelig" mit dem coolen Feier-Volk.
Dieser entwickelte Zustand ist meiner Ansicht nach aus passiver Perspektive nicht aufzuhalten - gute Apelle und Beschwörungen der alten Zeit bringen niemandem was, weil sich diejenigen, die sich daneben verhalten, nen Scheißdreck dafür interessieren, was irgendwelche "Moralapostel" von sich geben. Wenn sie was drum geben würden, würden sie sich nicht wie die letzten Vollidioten verhalten.
Es ist eben die Größe und die Tatsache, dass Wacken mittlerweile auch all denen bekannt geworden ist, die mit verzerrter Gitarre niemals was am Hut hatten. Dieser Zustand lässt sich einfach nicht mehr zurückdrehen - wie auch? Alterskontrollen sind totaler nonsens (gibt genug "Nachwuchs", der geil feiern kann, ohne anderen ins Zelt zu kacken) und auch sonst fällt mir nicht ein, wie man Wacken wieder aus den Hirnen derjenigen bringen kann, die eh nur hinfahren, weils ja "cool und hart" ist. Mir ist halt kaum ein Beispiel bekannt, in dem Metal so derart zur gesellschaftlichen Party-Kuh herangezüchtet wurde. Willst Du mal nen WE hart sein - komm nach Wacken, da kannst den Oberasi raushauen und alle findens lustig.
Wer hat nun Schuld daran? Wenn ihr mich fragt - entweder keiner oder alle. Mir schmeckt die Preisentwicklung auch nicht, ich finde Metaltouristen unwürdig und auf Stress und Ärger war ich noch nie aus und habe ich in Wacken persönlich noch nie erlebt.
Trotzdem - ist es verwerflich, wenn ein Veranstalter "seine heilige Kuh" immer größer und geiler haben will? Du fängst mit 800 Leuten an und plötzlich spielen Slayer, Saxon oder schlicht - ALLE Kings und Queens of Metal - auf DEINEM Festival. Jedes Jahr neue Ideen - ne Bühne mehr, mehr Platz für geile Leute, die die Stimmung auf Deinem Festival lobpreisen, nen Mittelaltermarkt is bestimmt auch total geil und zu Futtern wollen auch alle und alles haben und scheißen wollen se auch alle vernünftig, dann machst halt die Sanitärgeschichte noch immer besser, Frühstück is bestimmt geil, nochn paar Buden aufgestellt..... und *puff* organisierst Du eines der größten Festivals - und bei aller Kritik an einigen Sachen - ich glaube, die grundsätzliche Orga ist in Wacken so mit das beste auf einem Festival in der Größenordnung, die ich jedenfalls kenne.
So - nun kommt der gemeine Fan/Metaller/whatever.... was für Attribute konnte man Wacken verleihen? Aus meiner Sicht eigentlich alles, was ein Festival braucht - geile Leute, super Stimmung, mega Bands, nahezu gewaltfrei (die ersten Jahre habe ich nicht eine einzige Boxerei gesehen), hingebungsvoll, bodenständig, gemeinschaftlich, geiles Dorf mit geilen sogar auch alten Einwohnern - ey, Wacken war doch der Inbegriff eines Festivals.
WIR haben doch Wacken auch bei jeder Gelegenheit und immer wieder jedem als "das" geile Festival präsentiert, bei dem alles geht, bei dem alles möglich ist, wo die Karre mit billigem Bier direkt am Zelt parkt, wo die Leute saumäßig abgehen und... ach, ihr wisst, was ich meine. Höhepunkt dieser Entwicklung war dieser Doku-Film über Wacken, der eben noch viel mehr transportiert hat, als "nur" ein geiles Festival. Harmonie allen Orten, coole Leute, teilweise zum Schießen komisch, ne Kapelle zu der gemosht wird - das war doch ne Hommage an das Festival.... und alle wollens sehen.
So... und dann kam die breite Masse und mit ihnen die ganzen Idioten, die den Begriff Freiheit nur als Recht und nicht als Pflicht sehen und sich verhalten (und das mit völliger Selbstverständlichkeit), als gäbe es kein Morgen und keine anderen Menschen auf diesem Planeten. Das ist so gut wie immer und überall der Punkt, an dem der letzte Idealismus flöten geht - und so auch in Wacken. Der Endpunkt mag noch nicht erreicht sein, es war auch dieses Jahr mit den richtigen Leuten wieder ziemlich gut, aber wir sind mit unserem Umfeld auf jeden Fall auf der Suche nach Alternativen.
Denn - das sehe ich letztendlich so wie der Eröffner hier - es nützt nichts, sich über die breite Masse zu beschweren, wenn sie einmal da ist. Jeder hat ja ein gutes Recht, nach Wacken zu fahren. Wenn sie jedoch einmal da ist, sortiert sie sich nur selber irgendwann wieder aus und jeder, der dies nicht haben will, wird zwangsläufig nicht um die Frage herumkommen: will ICH selber das so noch, wie es läuft? Wenn nicht - dann suche ich mir eben ne Alternative. Es gibt eben keinen "einzelnen" Feind - nicht junge Leute, nicht Metalcore, nicht Heino und Hannelore und nicht die Schweizer, die Holländer oder die großbrüstigen Kleinwüchsigen sind Schuld an der Entwicklung. Jedwede Forderung, die einzelne Gruppen aus dem Festival katapultieren will, ist nonsens und meiner Ansicht nach auch selber wieder nicht "der Spirit" der ganzen Sache. Es gibt eben keinen "Idiotenfilter" für den Eingang und so werden sie solange da rumrennen, bis es der breiten Masse wieder zu langweilig oder uncool geworden ist.
Gutgehn
stratege