Teil 2
Mit 6,5 Jahren beschloss ich mir einen Vornamen zu geben.
Diesen Brauch hatte ich in dem Kasten meines Vaters aufgeschnappt, als er sich eine Sendung aus dem Westen anschaute, so erklärte er mir jedenfalls die Tätigkeit, die er betrieb. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte keiner aus meinem Land einen Vornamen, so unbekannt war dieser Brauch.
Wie die Kommunikation ohne Namen funktionierte weiss ich nicht mehr genau, denn zu wenige Sonnenuntergänge hatte ich erlebt, als dass ich mich erinnern könnte, jedenfalls bin ich mir bis zum heutigen Tage sicher, dass sie auf wundersame Art geklappt haben muss.
Meine neuartige Idee der Benennung der Personen stieß auf großes Missfallen einiger meiner Berater.
„Dass wir Dinge benennen ist eine wohl lobenswerte Tatsache, doch auch uns Menschen, die wir alle Sünder sind? Verdienen wir denn einen eigenen Namen?“, japste der dicke Berater.
„Jeder Mensch ist ein Mensch und steht über den Dingen die er erschaffen hat und die ohne ihn nicht existieren könnten.“, entgegnete ich ihm.
„Hat denn jeder genug Geld, um einen eigenen Namen zu besitzen und zu halten? Und was machen wir nur, wenn zwei Menschen sich denselben Namen aussuchen? Hätten wir denn überhaupt genug Vornamen für unsere Bevölkerung?“, redete der spargelige Berater besorgt.
„Wie ist es denn mit den Dingen, die wir erschaffen haben? Sie sind nicht lebendig, wie wir, können nicht arbeiten, um Geld zu verdienen, weder kann eines ihrer Familienmitglieder sterben und ihnen Geld hinterlassen, und trotzdem tragen alle Dinge einen Namen.“, erwiderte ich.
Während der dicke und der spargelige Berater versuchten noch mehr Gegenargumente vorzubringen, plante der hässliche Berater bereits die Erstellung der Namestabellen, sodass wir die Namensvergebung streng überwachen und überblicken könnten, sodass keiner der Bürger denselben Namen tragen würde und so auch keine Verwirrung entstehen konnte.
Nach langem Debattieren konnte ich die beiden dickköpfigen Berater endlich davon überzeugen, dass es eine gute Idee war, Vornamen zu verteilen. Der König Soundso Müller, unser Nachbar von der rechten Seite, hatte letztes Jahr all seinen Bürgern Nachnamen geben lassen und war schon seit längerer Zeit am Überlegen ein Vornamensgesetz in Kraft zu setzen.
Wir mussten dem schleunigst zuvorkommen und wenigstens die Vornamen für unser Königreich sichern, da wir König Soundso Müller keineswegs kopieren durften und meinem Volk ebenfalls Nachnamen geben konnten. Und weil meine Berater den Krieg und den Wettkampf liebten und König Soundso Müller hassten, willigten sie schließlich ein.
Der dicke Berater hieß ab sofort Obesum.
Der spargelige Berater bekam den Namen Asparagi.
Und der hässliche Berater wurde von nun an Deformis genannt.
Mir selber gab ich den Namen Mnemosyne Castanea.
Und da ich gerade „in Fahrt“ war, erfand ich so genannte „Spitznamen“.
Obesum wurde Klopsi genannt.
Asparagi wurde Karotte gerufen.
Deformis hiess Quasimodo.
Und ich?
Die Vornamensverteilungen liefen gut voran. Sie hatten eine Art Pilgerreise hervorgerufen.
Meine Untertanen stürmten zum Palast, wie eine Horde wilder Barbaren, die eine Kirche ausrauben wollten und ein Blutbad veranstalten wollten, um sich den Wunschnamen für sich selbst, sowie für ihre Kinder zu sichern.
Meine Diener und Gelehrten am Hof hatten die Hände voll zu tun und kamen nie zur Ruh.
Eines Tages, soweit ich mich entsinne war es der vierte Tag der Namensvergebung, kam Obesum keuchend und völlig rot im Gesicht zu mir.
„Eure Majestät!“, fing er noch immer keuchend an. „Wir haben ein Problem bei der Namensverteilung. Ein GEWALTIGES Problem, Gott steh uns bei!“
Er war völlig aus dem Häuschen, als er mir erzählte, dass sich schon mehrere Hundert Menschen für ein und denselben Namen gemeldet hatten, dieser jedoch schon längst vergeben war.
„Nie hätte ich gedacht, dass so eine Nachfrage für Hermenegilde besteht!“, rief er und streckte seine Hände gen Himmel. „Was sollen wir nur tun, Majestät? Ich schicke die Leute fort in die Wartehalle, damit sie sich einen anderen Namen ausdenken können, doch kaum stehen sie wieder vor mir, nennen sie mir einen anderen Namen, der ebenfalls bereits vergeben ist! Ich weiss nicht mehr, was ich tun soll!“, jammerte Obesum, erbärmlich wie auch seine fettleibe Erscheinung war.
„Mein guter Obesum, die Lösung zu diesem Problem liegt auf der Hand.“, sagte ich mit einer beruhigenden Stimme.
Mein Berater sah mich erwartungsvoll an.
„Warum hängt ihr nicht einfach Zahlen an das Ende des Namens? So kann es zum Beispiel eine Hermenegilde 2, Hermenegilde 3, Hermenegilde 4 und so weiter geben. Es kann HUNDERTE Hemenegilden geben!! Und so bekommt jeder den Namen, den er sich wünscht und wir müssen uns ebenfalls keine neuen Namen ausdenken, wenn unserem Volk die Ideen ausgehen. So vermeiden wir Zeitverschwendung und Streit!“, erklärte ich ihm und er stiess beinahe einen Freundensschrei aus, während er meiner Antwort zuhörte.
Am Ende zählten wir:
233.333 Hermenegilden
134.123 Kotzis
120.003 Davids
34.003 Rosetten
10.234 Roselinden
Usw. usw. usw….