Ur/Rind
An anderer Stelle wird bereits die Ähnlichkeit des germanischen Weltbildes mit dem der Indianer beschrieben. Natürlich verehrten die Germanen nicht den Büffel, weil er in ihrem Lebensraum nicht vorkam.
Nichtsdestotrotz hatten sie ein dem Büffel sehr ähnliches heiliges Rind. Der Ur oder Auerochse gab der zweiten Rune, Uruz, seinen Namen. Dieses Tier war wild, aggressiv, äußerst wehrhaft und schwer zu erlegen. So mancher junge Krieger und Jäger musste sich im Rahmen seiner Mannbarkeitsprüfung mit diesem herrlichen, leider heute ausgestorbenen Gegner messen.
Der Auerochse stand für Fruchtbarkeit und die Lebens- und Zeugungskraft der Natur. In vielen Alten Kulturen waren Kühe heilig, so auch in der germanischen. Kühe verkörpern den nährenden und schützenden Aspekt der Natur. Sie sind mütterliche Wesen. In der germanischen Mythologie ist es eine Kuh, Audhumla, die den Urriesen Ymir nährt und die Entstehung der Welt möglich macht.
Auch im Alltag hatten Rinder eine wichtige Funktion. Sie waren der wichtigste bewegliche Besitz der Stämme.
Die Rune Fehu, heute auch mit Geld übersetzt, bringt diesen Aspekt zum Ausdruck. An der Anzahl der in seinem Besitz befindlichen Rinder wurde der Reichtum eines Mannes gemessen.
Rinder waren nicht nur Nahrungs- und Lederlieferanten, sondern auch reguläres Zahlungsmittel.
Der Auerochse (Ur) und die Kuh Audhumla sind in der germanischen Welt Gegensätze wie Yin und Yang in China. Der Ur ist der gefährliche Gegner (männlich), während Audhumla den weiblichen, sanften, nährenden Aspekt des Rindes verkörpert. Diese Vorstellung der Dualität gab es in allen alten Kulturen: zwei Gegensätze, die sich ergänzen und von denen jeder auch den Keim des Anderen in sich trägt (der andersfarbige Punkt im Yin-Yang-Zeichen). Nur zusammen können sie ein Ganzes ergeben, aber nur weil sie gegensätzlich sind, können sie Bewegung und Veränderung erzeugen.
Copyright Eira 2001