Es ist das klassische Dilemma, das seit dem Historikerstreit existiert und nie gelöst wurde:
Der Völkermord der Deutschen an den Juden im Zuge der Shoah ist nicht vergleichbar mit anderen Völkermorden, weil er es nicht sein darf. Er wird (zu Recht!) immer einzigartig bleiben. Das schließt nicht aus, dass es andere Völkermorde gegeben hat und gibt. Auch solche, deren Opferzahlen die des genannten übersteigen (was das auch immer letzlich aussagen mag) und auch solche, die zutiefst verachtenswert sind.
Die meisten Völker haben Dreck am Stecken, erst recht die sogenannten "zivilisierten" Völker, allen voran unsere lieben Freunde aus Übersee. Aber so, wie man Wissen nicht vermitteln kann, kann man auch Verantwortung -bzw. die Übernahme derselben- nicht erzwingen. Sie muss von jedem Volk selbst "von innen" erlernt, eigentlich erkämpft werden. Das benötigt Mut und Zeit.
Für Deutschland kann das Ziel dieser Verantwortung nur der Holocaust sein, und dass unsere Erinnerungskultur nicht völlig daneben ist, zeigt u.a. das hier thematisierte Urteil. (Btw: Deutsche Erinnerungskultur hinsichtlich des Holocausts genießt international durchaus eine nicht zu verachtende Anerkennung).
Andere Nationen haben ihr eignes Süppchen zu trinken, auch wenn das nicht immer schmeckt.
Zum Thema der persönlichen Verantwortung: Nein, ich habe keinen Menschen umgebracht. Ich habe auch keine Unterschrift geleistet, die zur Ermordung eines Menschen geführt hätte. Ich habe auch keine Waren boykottiert, die von Menschen einer speziellen religiösen Anschauung gefertigt oder vertrieben wurden. Ich versuche, die allgemeinen Menschenrechte zu respektieren.
Aber ich bin kulturell, sprachlich, kommerziell, juristisch und auf viele weitere Arten in diese unsere deutsche Gesellschaft und deren Vergangenheit integriert. Wir sind alle Teil einer 80 Mio Gemeinschaft. Die Verbindungen zwischen all diesen Menschen sind vielfältig, komplex und werden rasch unüberschaubar.
Diese Einbindung eines jeden einzelnen von uns in die Gesellschaft funktioniert nicht einfach über ein Postulat persönlicher moralische Ansichten (selbst wenn es im eloquenten WOA-Forum veröffentlicht wird). Pragmatische Moralvorstellungen und gesellschaftliche Zwänge passen selten zusammen, und doch sind wir als Person auf beides angewiesen, um zu überleben.
Ein Dilemma, und das ist noch nicht mal neu...