Ich war letztes Jahr längere Zeit da unten im Einsatz und habe durchaus auch einige Mal mitbekommen, was dort an Hilfen geht und was nicht. Wir dürfen hier 2 Dinge nicht durcheinanderwerfen - kurzfristige, pragmatische Hilfen zum "Erstangriff" oder langfristige, wirkliche Aufbauhilfen.
Kurzfristige und pragmatische Hilfen sind durchaus einige geflossen und diese sind - jedenfalls in einer unserer Einsatzlagen - auch schnell geflossen. Da reden wir über Summen von 1000,-€ oder 2000,-€. In einem der Dörfer wurde unmittelbar nach der Flut (wobei unmittelbar relativ ist - also ein paar Tage nach dem Ereignis) ein Schreibtisch hingestellt, dort konnte man sich melden und alleine anhand des Umstandes, dass man Anwohner dort ist, gab es schonmal eine kleine Summe "auf die Faust". Aber jetzt machen wir uns nichts vor - wie weit kommst Du mit 2000,-€, wenn Dir gerade die gesamte Hütte weggeschwommen ist? Das reicht für nen Bautrockner (sofern nicht kostenfrei zur Verfügung gestellt), ein paar Sack Putz, Schubkarren, wat weiß ich. Vieles davon wurde auch gespendet und von vielen Freiwilligen geliefert, aber irgendwas is dann halt immer und muss bezahlt werden. Aber wie gesagt, mit dem "Handgeld" machste keine großen Sprünge.
Was dann langfristig halt fehlt oder notwendig ist, sind die dicken Batzen, mit denen man dann die Hütte wieder dahinstellt oder die teilzerstörte Hausinfrastruktur wieder aufbaut. Hier reden wir sehr schnell von 50k, 100k oder im Gewerbebereich von noch viel mehr Geld. Je höher die Summen, desto geringer der Platz für Pragmatismus. Und natürlich muss man die Versicherungen mit einbeziehen. Es gab nicht unerheblich viele Häuser und Liegenschaften an den Flussläufen, die überhaupt nicht versichert waren. Natürlich ist das doof, wenn dann Spenden an die Stelle von Versicherungen treten. Das soll ja so auch nicht sein. Aber um in der Breite die beste oder vielleicht "gerechteste" Verteilung zu erreichen, musst Du alle Gelder betrachten, die möglich sind und dann alle gangbaren Wege einbeziehen und betrachten. Um Doppelnutzungen zu verhindern wäre noch ein gangbarer Weg, Spenden recht zügig zu verteilen und im Nachgang dann die Abrechnung durchzuführen und ggf auch Gelder zurückzufordern. Aber lass mal den Spendentopf leer sein und dann kommt raus, dass Leute doppelt kassiert haben... da gehts dann aber ganz flugs mit Fackeln und Heugabeln durchs Dorf... Da spielen so unheimlich viele Faktoren eine Rolle - ich bin hart froh, dass ich da die Verteilung nicht zu entscheiden habe, ganz ehrlich.
Ja und natürlich haben wir einen relativ starren Verwaltungsapparat... aber so ein bischen möchte ich hier auch betrachten, dass wir von "1 Jahr" später reden. Wenn wir als Gegenbeispiel irgendwelche UN Hilfsmissionen in irgendwelchen Staaten der Welt hernehmen - hier gehen sehr schnell mal etliche Jahre ins Land bevor da wieder effektiv irgendwas wurde (lässt sich auch nicht pauschalisieren, aber soooo super schnell geht das in der Regel auch nicht). Es ist ja nicht so, dass irgendwo in einem beliebigen Land auf der Welt eine Katastrophe passiert und 3 Monate später durch Pragmatismus alles wieder tutti in der Landschaft steht. Da an Ahr und Erft sind ganze Landstriche dem Erdboden gleichgemacht worden, wir haben in unseren Einsatzgebieten vor komplett planierten Flächen aus Ziegelsteinen gestanden. Das sind Wohngegenden und Wohnlagen, die vorher in Jahrzehnten entstanden und gewachsen sind, die komplett plan waren nach der Flut.
Irgendwie denke ich schon, dass unsere grundlegende Verwaltungsstruktur sicherlich wie gesagt auch sehr starr ist und wir sehr regelungswütig sind. Ja, das kann hinderlich sein und macht durchaus Probleme. Aber das Kernproblem liegt in meinen Augen vor allem in den Arbeitsmöglichkeiten und auch der Ausstattung der relevanten Stellen. Blödes Beispiel: im Rahmen einer Pandemie Betroffenenlisten manuell zu führen, diese zu kopieren und dann per Fax irgendwohin zu schicken, weil es einfach nur eine rudimentäre IT Ausstattung gibt - das finde ich peinlich. Dass wir ein sehr bürokratisches Völkchen sind - ja, geschenkt. Isso. Wir schaffen uns aber oftmals nicht die Basismöglichkeiten, um unsere manchmal auch vorteilhafte Bürokratie einfach schneller in Gang zu bringen.
Edith meint:
Und bitte auch nicht vergessen, dass jede Lösung, egal wie pragmatisch oder nicht, immer alle gleichzeitig betrifft. Wir dürfen also nicht nur Klaus Müller betrachten, der ganz schnell 100.000,-€ braucht und dem damit ganz sicher total gut geholfen wäre. Wenn Du eine Regelung für Klaus Müller triffts, dann triffst Du diese Regelung für mehrere tausend Klaus Müllers. Ich möchte nicht wissen, was dann passiert, wenn dadurch die Spendentöpfe und auch die weiteren Finanztöpfe ruck zuck leer sind und dann wirklich ein paar tausend Klaus Müllers hinten rüber fallen und dann gar nix mehr sehen. Wie gesagt - ich mach drei Kreuze, dass ich nicht derjenige bin, der solche Entscheidungen treffen muss...