Sehr interessantes Interview mit Lech Walesa...

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Geisteskrank

W:O:A Metalmaster
17 Juli 2002
26.841
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Provinz Starkenburg
„Unser Sieg ist uns teuer zu stehen gekommen”


http://www.faz.net/s/RubFC06D389EE7...169A8A15649225EDB9~ATpl~Ecommon~Scontent.html

26. August 2005 Als Lech Walesa, ein entlassener Elektriker der Danziger Lenin-Werft, sich im August 1980 nach einem legendenumwobenen Sprung über die Werksmauer an die Spitze der streikenden Arbeiter Polens stellte, rechnete kaum jemand damit, daß damit das Ende der kommunistischen Diktaturen in Europa begonnen hatte.

Walesa ist seither Gewerkschaftsführer, politischer Häftling, Friedensnobelpreisträger, Staatspräsident und zeitweise wieder Elektriker gewesen. Nächsten Mittwoch jährt sich die Gründung seiner oppositionellen Gewerkschaft „Solidarnosc” zum 25. Mal.

Herr Walesa, 25 Jahre nach dem Streik Ihrer Danziger Werftarbeiter von 1980 ist die Sowjetunion Geschichte, Deutschland vereinigt und Polen in der Europäischen Union. Sind Sie zufrieden?

Wenn mir jemand damals gesagt hätte, daß ich Freiheit und Demokratie in Polen oder die Vereinigung Deutschlands noch erleben würde, ich hätte es nicht geglaubt. Trotzdem bin ich heute nicht euphorisch. Ich habe erst unterwegs erfahren, wie gefährlich unser Unternehmen war. Damals, auf der Höhe des Erfolgs, war ganz Polen, ganz Europa voll vom Gefühl des Sieges. Ich aber hatte damals schon Sorgen. Ich sagte meinen Kollegen: Wahrscheinlich verlieren wir die Werft, und ihr müßt noch hart arbeiten.

Hat der Westen damals genug getan, um Polen zu helfen?

Der Westen hatte uns damals zu unserer Revolution ermutigt. Wir erwarteten dafür allerdings, daß er uns so etwas wie einen Marshall-Plan anbieten würde - Unterstützung, um unser wirtschaftliches Potential für unseren gemeinsamen Wohlstand zu nutzen. Der Westen aber war auf so etwas nicht vorbereitet, so daß wir Polen erst im vergangenen Jahr, nach fast 25 Jahren also, der EU beitreten konnten. Unser Sieg ist uns deshalb teuer zu stehen gekommen.

Die Freude an der Überwindung von Sowjetunion und Warschauer Pakt sowie an der deutschen Einheit hat uns Polen unsere gesamte Volkswirtschaft gekostet. Das beste Beispiel dafür ist die Danziger Werft, in der ich - mit Unterbrechungen - 20 Jahre lang gearbeitet habe. Früher gingen 98,5 Prozent unserer Produktion an die Sowjetunion.

Heute ist dieser Absatzmarkt weg. Wir hatten damals, als die Solidarnosc entstand, überall exzellente Fachleute, und ich hoffte, daß der Westen ihnen helfen würde. Unsere Werftarbeiter hätten nicht unbedingt weiter Schiffe bauen müssen, aber man hätte sie verwenden können. Oder unsere Krankenschwestern: Wäre es damals wirklich so schwer gewesen, diese Leute für begrenzte Zeit aufzunehmen?

Hat Deutschland mit seiner Vereinigung vom Mut der Polen profitiert, es dann aber versäumt, Solidarität zu zeigen?

Die Deutschen glauben heute, die Berliner Mauer sei gefallen, weil die Flüchtlinge aus der DDR sie über die Tschechoslowakei und Ungarn umgangen haben. Meine Meinung war damals: Polen blutet, die Deutschen aber verlassen die eigene Erde und hauen ab. Sollen das Helden sein? - Das sind Deserteure!

Hat Europa heute die moralische Pflicht, seine Grenzen für die Nachfolger der „Solidarität” zu öffnen? Selbstverständlich. Aber es ist nicht nur eine moralische Pflicht, sondern auch eine wirtschaftliche Notwendigkeit. Kapitalismus setzt voraus, daß die Menschen frei sind - zum Vorteil aller.

Wenn die polnischen Fachleute besser sind oder billiger, dann sollen sie in Europa ihre Chance haben. Was aber geschieht in Wirklichkeit? Der Westen hält die Grenzen dicht, und dafür gehen die Arbeitsplätze jetzt nach China.

Geht die Freizügigkeit, von der Sie sprechen, nicht an den Wünschen der Menschen vorbei? An dem Schreckgespenst des „polnischen Klempners” ist in Frankreich schließlich die europäische Verfassung gescheitert.

Das Problem ist: Für eine Revolution reicht manchmal eine Nacht; für einen Mentalitätswandel aber brauchen wir Generationen. Wir haben heute in der ganzen Welt das Problem mit den alten nationalen Egoismen. Die Franzosen arbeiten für sich selbst, die Deutschen ebenso und die Polen auch.

Aber dafür habe ich damals nicht gekämpft. Meine Idee war, den Weg zu finden, der für das gesamte Europa der beste ist. Heute heißt das: Die EU muß wie ein einheitlicher Staat handeln, um das Entwicklungsniveau zwischen ihren Mitgliedsländern auszugleichen. Warum?

Ganz einfach: In Zivilisationen, die auf dem Niveau des Pferdes oder des Elefanten stehenbleiben, werden keine Mercedes gekauft. Wenn ein Pole oder Ungar keine Arbeit hat, dann muß der deutsche Steuerzahler eben allein die Union finanzieren.

Überfordern Sie nicht die Leute mit solchem postnationalen Enthusiasmus?

Die Zeiten sind eben, wie sie sind. Die Staaten sind zu klein geworden für die Aufgaben von heute. Sehen Sie sich das Internet an, das Mobiltelefon. Mit unseren alten Werten paßt das alles nicht mehr zusammen. Wir wollen miteinander Geld verdienen, und dafür brauchen wir eben ganz neue Strukturen. So deute ich unsere Zeit. Ich bin mir nicht sicher, ob mir das gefällt, aber soll ich meinen Computer aus dem Fenster werfen und mein Mobiltelefon in den Müll?

Ich bin Techniker von Beruf, und deswegen beobachte ich die technische Entwicklung. Unsere Urgroßväter haben das Fahrrad erfunden, und schon waren die Dörfer zu klein für sie. Jetzt haben wir Flugzeuge, und schon sind uns die Staaten zu klein geworden, ein Jet braucht nur Minuten, um sie zu überfliegen. Deswegen müssen wir heute global denken. Wir brauchen ein globales Parlament, eine globale Regierung, vielleicht ein globales Ministerium für Sicherheit. Wenn nicht, können wir eines Tages von Weißrußland oder Nordkorea in die Luft gesprengt werden.

Woran soll die globalisierte Weltgesellschaft sich ausrichten, wenn die Nationen wegfallen?

Es gibt hier zwei Konzepte: Das erste liegt der europäischen Verfassung zugrunde. Es spricht von individueller und wirtschaftlicher Freiheit, wobei die Werte jedem einzelnen überlassen werden. Das gefällt mir gar nicht. Die Entwicklung, die vor uns liegt, ist voller Risiken, und je weiter sie geht, desto mehr werden die Menschen Werte brauchen.

Und hier bietet sich als Prinzip des Zusammenlebens der Dekalog an, die Zehn Gebote. Kaum ein Mensch in der Welt lehnt sie ab. Auf diesen Werten sollten wir alle Systeme aufbauen. Es ist möglich, das Gewissen von Menschen zu erreichen und zu erziehen.

Religion als Basis des Politischen - das klingt ein wenig altpolnisch.

Der Gott, den ich meine, lebt nicht im Mittelalter, und er ist kein Götze. Gott lebt in den Computern der neuesten Generation. Er ist sehr modern, sehr zeitgemäß, aber seine Grundprinzipien sind ewig und uralt.

Wo sind die Wurzeln Ihrer Religiosität?

Meine Mutter hat mich gläubig erzogen, und ich habe durch meinen Glauben wunderbare Dinge erlebt. Ein Beispiel: Als vor 25 Jahren die Streiks begannen, hatten wir, die kleine Gruppe der Eingeweihten, uns für sechs Uhr morgens an der Werft verabredet.

Aus irgendeinem Grund aber habe ich mich an diesem Tag um drei Stunden verspätet. Als ich Jahre später die Berichte des Geheimdienstes las, stand dort, daß ich zur geplanten Zeit, um sechs, nicht die geringste Chance gehabt hätte, die Werft zu erreichen.

Sie hätten mich verhaftet. Das Kalkül der Sicherheitsorgane war klar: Wenn wir Walesa verhaften, ziehen die Arbeiter los, und es kommt zum Blutbad. Vielleicht hat mir ja damals der Heilige Geist einen Tip gegeben...

Glauben Sie, daß Sie als Führer der Solidarnosc das Instrument einer höheren Macht waren?

Ja. Aber keine Sorge, ich bin nicht besessen, und ich bin auch kein Heiliger. Ich habe während der Streiks einfach nur viel gebetet. Mein Verstand war deshalb immer ruhig, und ich hatte keine Angst.

Liegen in diesem Sendungsglauben die Wurzeln jenes autoritären Führungsstils, den Ihnen manche Ihrer alten Mitstreiter vorwerfen?

Meinen Sie, es wäre damals möglich gewesen, demokratisch zu entscheiden? War das eine Zeit für Demokratie? Der Ostblock setzte gegen uns einen riesigen Apparat in Bewegung. Vielleicht erfahren wir einmal, wie viele Leute damals in all den Krisenstäben all dieser Staaten nur damit beschäftigt waren, uns fertigzumachen. Deswegen mußte ich manchmal unbequeme Entscheidungen treffen.

Meine Generation hatte zwei Aufgaben. Die erste war: Wir mußten zur Zeit des Kampfes ein Monopol des Widerstands schaffen, jene Einheitlichkeit, die nötig ist, um zu gewinnen. Das ist uns wunderbar gelungen; die ganze Welt hat uns damals bewundert. Als wir aber den Kommunismus besiegt hatten, kam das traurige zweite Kapitel. Es ging darum, dieses Monopol wieder zu zerschlagen, um Demokratie und Kapitalismus möglich zu machen.

Können Sie sich vorstellen, was das geheißen hätte, mit einer einheitlichen Arbeiterbewegung von 10 Millionen Menschen wie der Solidarnosc aus Oppositionszeiten den Kapitalismus aufzubauen? Keine Chance! Den Widerstand gegen die Härten des Wandels, der dann gekommen wäre, können Sie höchstens mit dem vergleichen, was los wäre, wenn in Deutschland jemand Daimler-Chrysler auflösen wollte.

Das wäre der Bürgerkrieg. Deswegen habe ich mich nach unserem Sieg entschlossen, die einheitliche Bewegung, die ich zuvor aufgebaut hatte, wieder zu zerschlagen.

Ist es Ihnen schwergefallen, sich nach dem Sieg in die Demokratie einzupassen?

Eines ist richtig: Wenn ich führe, führe ich am besten alleine, mit eigenen Händen. Ich habe diese Kraft in mir, und was das betrifft, bin ich vielleicht aus dem gleichen Holz geschnitzt wie Lenin, Stalin oder Kim Il-sung.

Der Unterschied ist nur: Anders als sie habe ich die Führung später aus der Hand gegeben, auch wenn mich das meine eigene Position gekostet hat. Aber die Demokratie war mir das wert.
 

Kadatha

W:O:A Metalmaster
7 Aug. 2005
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BREMEN!!! / Hamburg
Das war ne astreine, polnische Death Metal Band, die hiessen irgendwie "NSZZ Solidarnosc of Death" oder so. Kamen in den 80er Jahren ganz groß raus.
 
Kadatha schrieb:
Das war ne astreine, polnische Death Metal Band, die hiessen irgendwie "NSZZ Solidarnosc of Death" oder so. Kamen in den 80er Jahren ganz groß raus.


..mit starken industrial einflüssen, soweit ich mich erinnere ;)

@topic: jau... sehr interesant... habe zum thema solidarnosc jübiläum auch vor kurzem ne docu auf arte gesehen...
 

Kadatha

W:O:A Metalmaster
7 Aug. 2005
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BREMEN!!! / Hamburg
Schlossvippach schrieb:
..mit starken industrial einflüssen, soweit ich mich erinnere ;)

@topic: jau... sehr interesant... habe zum thema solidarnosc jübiläum auch vor kurzem ne docu auf arte gesehen...

Ja, genau, Industrial Death Metal :D

Mist, die Doku hab ich wohl verpennt :(