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Streit zwischen USA und Venezuela
Chavez: Linkspopulist mit Ölvorrat
Von Britta Scholtys, tagesschau.de
Mit der Aufforderung, den venezolanischen Präsidenten Hugo Chavez vom US-Geheimdienst CIA "ausschalten" zu lassen, hat der ultra-konservative US-Fernsehprediger Pat Robertson das verbale Scharmützel zwischen den USA und Venezuela gehörig überzogen. Inzwischen entschuldigte sich Robertson für seine Äußerungen - er sei "frustriert" gewesen, gab er zur Begründung an. Dennoch hat er das ausgesprochen, was der südamerikanische Linkspopulist für die Bush-Administration ist: "ein gefährlicher Feind".
Ein "Feind" ist Chavez, weil er die lateinamerikanischen Länder gegen die Vormachtstellung der USA auf dem Kontinent vereinen und dem neoliberalen US-Modell ein sozialistisches Lateinamerika entgegensetzen will. Ein "Feind" ist er auch, weil er US-Präsident George W. Bush kritisiert und herausfordert: Jüngst, während seines Besuchs auf Kuba, warf Chavez Bush "imperialistische Bestrebungen" und die "Gefährdung des Weltfriedens" vor.
Eine Woche zuvor hatte der Venezolaner die Zusammenarbeit mit den USA im Anti-Drogen-Kampf aufgekündigt. Chavez’ Begründung: Die USA missbrauchten die Kooperation zu Spionagezwecken. Die US-Regierung wiederum verdächtigt den südamerikanischen Regierungschef der Agitation in der Region. Chavez sei mit verantwortlich für die Unruhen in Bolivien, sagte US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld.
Die gegenseitigen verbalen Angriffe der "Feinde" Chavez und Bush sind nicht neu. Die Beziehungen zwischen den USA und Venezuela sind seit Chavez’ Amtsantritt 1999 angespannt. Chavez wirft Washington unter anderem vor, die Unruhen im Jahr 2002, die beinahe zu seinem Sturz geführt hätten, geschürt zu haben. Neu aber ist, dass Chavez in der Tat dem US-Einfluss auf dem südlichen Kontinent "gefährlich" werden könnte. Zwei Punkte spielen dabei für Chavez: die innenpolitische Krise des brasilianischen Präsidenten Inacio Luiz Lula da Silva - bisher Wortführer Südamerikas - und der Erdölreichtum des Landes.
Wegen der Korruptionsaffäre der sozialistischen Arbeiterpartei PT bröckelt Lulas Image nicht nur innerhalb Brasiliens, sondern auch auf dem südlichen Kontinent. Auf dem Spiel steht dabei nicht nur Lulas Modell des Arrangements zwischen Unternehmern und Gewerkschaftern, mit dem der ehemalige sozialistische Gewerkschafter als Regierungschef den Brasilianern wirtschaftliches Wachstum und soziale Absicherung versprach. Auf dem Spiel steht für ihn auch die Rolle als Wortführer eines wirtschaftlich vereinten Südamerikas, das dem "Konsens von Washington" ökonomisch Widerstand leisten will. Diese Rolle, der wirtschaftlichen Vormachtstellung der USA in Südamerika ein anderes Modell entgegenzusetzen, schickt sich nun Chavez an, zu übernehmen.
Chavez’ Ziel ist die "bolivarische Revolution", ein vereintes sozialistisches Lateinamerika. Sein Trumpf bei der Suche nach Verbündeten ist das Öl. Weltweit ist Venezuela der fünftgößte Eröllieferant. Die USA decken rund 14 Prozent ihres Öl-Verbrauchs durch Venezuela. Bei einem Preis von derzeit rund 65 US-Dollar pro Barrel sind die venezolanischen Staatskassen voll.
Öl macht Freunde
Davon lässt Chavez auch seine Nachbarn und potentiellen Verbündeten profitieren. So unterzeichnete er im März eine Anleihe der argentinischen Regierung im Umfang von 500 Millionen Dollar. Ecuador hat er dasselbe für 300 Millionen Dollar angeboten. Im Juni vereinbarte er mit den Karibikstaaten günstige Konditionen bei der Lieferung von Erdöl. Und bei seiner jüngsten Tour durch Südamerika Mitte August zurrte der venezolanische Präsident mit den Mercosur-Ländern Argentinien, Uruguay und Brasilien mehrere bilaterale Verträge über Energieprojekte und Infrastrukturinvestitionen fest. Für sein Wirtschaftsprojekt, der von den USA geplanten Panamerikanischen Freihandelszone FTAA die bolivarianische Alternative ALBA (Alternativa Bolivariana para América) gegenüberzustellen, konnte Chavez allerdings bislang nur seinen kubanischen Freund Fidel Castro gewinnen.
Anders sieht es beim neuen südamerikanischen Fernsehsender "Nueva Televisión Sur" (Telesur) aus. Für den lateinamerikanischen Satellitenkanal, der den Kontinent - im Gegensatz zum US-Rivalen CNN - aus lateinamerikanischer Perspektive zeigen soll, konnte Chavez neben Kuba auch Argentinien und Uruguay als Teilhaber gewinnen - auch das ist den USA ein Dorn im Auge.
Popularität schwankt mit dem Ölpreis
Dennoch ist Chavez’ beanspruchte Führungsrolle in Südamerika wackelig - eben weil sie unter anderem vom Erdöl abhängt. "Als der Ölpreis vor zwei Jahren noch weitaus niedriger war, lag Chavez’ Populariät im Land bei 40 Prozent", schreibt die BBC. Heute liege sie bei 70 Prozent - trotz anhaltend hoher Arbeitslosigkeit, die laut "Economist" bei 11 Prozent liegt.
Und auch wenn die lateinamerikanischen Nachbarn sich wirtschaftlich mit Venezuela verbünden, so findet Chavez’ Idee der "bolivarischen Revolution" trotz der zahlreichen Linksregierungen auf dem südlichen Kontinent bisher wenig Widerhall. Wie sich das Kräfteverhältnis auf der südlichen Hemisphäre Amerikas weiter gestalten wird, wird sich unter anderem im November zeigen, wenn die 34 amerikanischen Staaten mit Ausnahme von Kuba zum Amerika-Gipfel in Buenos Aires zusammenkommen.