Der Märchen-Thread

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Lord Soth

Guest
Der Drachentöter


Es war einmal ein König, der hatte drei Söhne. Als sie erwachsen waren, ließ er ihnen kostbare Gewänder anfertigen, gab jedem einen schön verzierten Gürteldolch und ein gutes Schwert in die Hand und sprach: "Nun reist hinaus in die Welt, seht euch überall wohl um und versucht euer Glück!" Dazu waren die drei Brüder gleich bereit, nahmen Abschied von ihrem alten Vater und zogen zum Tor hinaus. Als sie ein gutes Stück gewandert waren, kamen sie zu einer großen Tanne; da beschlossen sie, sich zu trennen. "Wir wollen unsere Dolche in diese Tanne stecken", sagte der älteste. "Kommt einer von uns zu irgendeiner Zeit wieder einmal hier vorbei, so mag er an ihnen erkennen, ob wir noch am Leben oder ob wir gestorben sind, und dies wird das Zeichen sein: wessen Dolch einen Rostfleck zeigt, der ist tot und wird die Heimat seiner Väter nie mehr wiedersehen." - Sie stießen also die blanken Klingen tief in den Baum; dann ging der eine zur Rechten, der andere zur Linken, der jüngste aber zog geradeaus und kam bald in einen großen, finsteren Wald.

Wie er nun so allein zwischen den dunklen Tannen dahinging, kam ihm mit einem Mal ein Bär entgegen. Ohne langes Besinnen griff er nach seinem Schwert und wollte ihm auf den Pelz rücken. Der Bär aber rief: "Töte mich nicht, es wird dein Glück sein!" trottete freundlich und zutraulich heran und begleitete den Königssohn durch den Wald. Als er wieder eine Strecke gewandert war, kam plötzlich ein großer, wilder Wolf dahergesprungen. "Im nächsten Augenblick schon schwang der Prinz sein Schwert, stellte sich ihm in den Weg und wollte ihn erschlagen. Der Wolf aber rief: "Töte mich nicht, es wird dein Glück sein!" - Da ließ er auch ihn am Leben, und nun zog der Wolf mit dem Bären hinter ihm her. Es dauerte nicht lange, da stand, wie aus der Erde gewachsen, ein mächtiger Löwe vor ihm und fletschte die Zähne. Dem Königssohn fuhr geschwind der Schreck in die Glieder; dann aber zog er blitzschnell sein Schwert, um es ihm in den Rachen zu stoßen. Weil aber der Löwe sagte: "Töte mich nicht, es wird dein Glück sein!", schenkte er auch ihm das Leben. Nun zog auch der Löwe mit dem Wolf und dem Bären hinter ihm her, und alle drei Tiere wichen nicht mehr von ihm.

Lange Zeit wanderte der Prinz mit seinen Begleitern durch den Wald, ohne einem Menschen zu begegnen. Endlich sah er in der Ferne eine Stadt. Da schritt er munter voran und zog bald darauf mit seinen Tieren durch das Tor ein. Doch seltsam: Alle Häuser waren mit schwarzem Flor behangen, und die Menschen gingen stumm und traurig durch die Straßen. Da fragte der Prinz, was denn der Stadt widerfahren sei. "Ach !" erzählten ihm da die Leute, "auf dem Berg dort, wo die Kapelle steht, haust ein siebenköpfiger Drache. Dem muß man jeden Tag ein unschuldiges Mädchen zum Fressen bringen sonst ist vor ihm niemand seines Lebens sicher. Nun aber soll ihm morgen die einzige Tochter des Königs ausgeliefert werden, und darum ist die Stadt in so tiefer Trauer." - "Das verstehe ich wohl", meinte der Prinz, "aber - ist denn gar keine Rettung möglich?" -"Ja, das fragen wir auch, lieber Herr", sagten sie. "Der König hat wohl schon lange im ganzen Lande bekanntmachen lassen, daß er dem Drachentöter die schöne Prinzessin zur Frau geben wolle; doch bis heute hat sich keiner gefunden, der den Kampf mit dem Ungeheuer wagen will." - Der Prinz hörte sich alles genau an und dachte: "Wenn du den Drachen erlegen und die schöne Königstochter gewinnen könntest! Vielleicht würden die drei Tiere dir helfen?" Und er nahm sich vor, den Kampf gegen den Drachen zu versuchen.
 

Rain

W:O:A Metalmaster
16 Nov. 2004
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Lord Soth schrieb:
Der Drachentöter


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Sothi, Du hast das Ende vergessen... ich kenn das Märchen zwar, aber ich habs nur einmal gelesen und iich hab's nirgendwo gefunden!
 
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Lord Soth

Guest
Rain schrieb:
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Sothi, Du hast das Ende vergessen... ich kenn das Märchen zwar, aber ich habs nur einmal gelesen und iich hab's nirgendwo gefunden!

Moin... alter hatte ich nen schädel heute morgen...:D

Hier nun das Ende vom Märchen:


Am anderen Morgen, als die Sonne aufging, gürtete er sich sein Schwert um und stieg auf den Drachenberg, von seinen treuen Tieren begleitet. Als er zu der Kapelle kam, ging die Prinzessin gerade hinein, um zu beten. Sie war so jung und schön, daß er wie gebannt stehenblieb und ihr nachschaute. Da wurde er plötzlich durch ein fürchterliches Brüllen und Fauchen aufgeschreckt, und aus der Felsschlucht hervor stürzte der siebenköpfige Drache ungestüm auf ihn ein. Der Bär, der Wolf und der Löwe warfen sich wütend auf das Untier und jeder riß und biß ihm zwei Köpfe ab. Der siebente Kopf aber, der schrecklichste und gefährlichste von allen, fiel unter dem scharfen, Schwert des Prinzen in den Sand. Lang ausgestreckt lag der tote Drache in seinem Blute. Da trat die Prinzessin aus der Kapelle, ihrem Retter zu danken. Sie nahm die goldene Kette, die sie bisher selber, getragen, zerteilte sie und legte jedem der Tiere ein Stück davon um den Hals. Zu dem Prinzen aber sagte sie: "Ich danke dir von Herzen, du tapferer Mann! Du hast mich vom Tode errettet, und dafür will ich dir für mein ganzes Leben als deine liebe und treue Frau gehören! Nun aber komm mit zu meinem Vater. "Es kann noch nicht sein, liebe Prinzessin", sagte er; "ich muß mich zuerst noch eine Weile in der Welt umsehen. Heute übers Jahr aber komme ich wieder und dann wollen wir Hochzeit halten!" Darauf schnitt er aus den sieben Drachenköpfen die Zungen heraus, wickelte sie in ein seidenes Tuch und steckte sie in die Tasche. Dann nahm er Abschied von seiner Braut und zog mit seinen getreuen Tieren auf gut Glück in die weite Welt hinaus.

Als der Prinz ihren Blicken in der Ferne entschwunden war, stieg die Prinzessin in die Kutsche, die am Fuße des Berges wartete, um sich nach Hause fahren zu lassen. Der Kutscher fuhr aber erst ab, nachdem er die sieben Drachenköpfe zu sich auf den Wagen geladen hatte. Und wie sie unterwegs durch einen dunkeln Wald kamen, hielt er plötzlich die Pferde an und sagte zu der Prinzessin: "So, nun sind wir allein und keiner ist da, der dir helfen könnte! Sage zum König, i c h hätte den Drachen getötet! Versprich es mir, oder du mußt auf der Stelle sterben!" Was konnte da die Prinzessin anderes tun, als zustimmen, wenn ihr das Leben lieb war? Als sie im Schloß ankamen, wies der Kutscher dem König die sieben Drachenköpfe vor, verlangte die Prinzessin zur Frau und wollte, daß die Hochzeit gleich am anderen Tage stattfinden sollte. Der König, der sein Wort halten wollte, war damit einig; die Prinzessin aber brachte es unter allerlei Vorwänden fertig, daß die Hochzeit immer wieder aufgeschoben wurde. Ein ganzes Jahr lang trieb sie es so; dann aber mußte sie dem Drängen des Kutschers doch nachgeben. Sie tat es auch scheinbar willig, weil sie hoffte, daß der rechte Bräutigam sich nun bald einfinden werde, so wie er es ihr versprochen hatte.

Und richtig, als das Jahr bald um war, hatte der Prinz sich genug in der Welt umgesehen und die Heimreise angetreten. Als gerade noch ein einziger Tag an dem Jahr fehlte, kam er in der Stadt an und war erstaunt darüber, wie lustig und lebendig es überall zuging. Er kehrte in einem Wirtshaus ein, fragte den Wirt, ob er hier übernachten könne und fügte so beiläufig hinzu: "Was geht denn hier vor? Vor einem Jahr war die Stadt mit Trauerflor behangen und die Leute gingen stumm und traurig umher; heute dagegen sehe ich überall fröhliche Gesichter und die Stadt ist wie zu einem Fest geschmückt!" -"lhr habt's erraten", antwortete der Wirt und erzählte ihm, daß morgen die Königstochter Hochzeit halte mit dem Kutscher, der sie vor einem Jahr aus den Klauen des Drachen errettet habe. "Soso", sagte der Prinz, trank sein Glas leer und begab sich in seine Schlafkammer hinauf.

Am anderen Tag, während droben im Schloß das Hochzeitsmahl im Gange war, saß der Prinz, als Jäger gekleidet, mit dem Wirt in der Schankstube. Sie sprachen von der schönen Prinzessin und dem Drachentöter und dem prachtvollen Fest, und dabei sagte der Prinz: "Herr Wirt, holt mir doch auch einen Krug von, dem Wein, den die Braut im Schlosse trinkt!" - "Das kann ich nicht, Herr!" antwortete der Wirt. "Dann muß ich halt meinen Wolf hinschicken!" meinte der Prinz; rief den Wolf zu sich und sagte: "Geh zu der Prinzessin ins Schloß und sage, dein Herr lasse um einen Krug von dem Wein bitten den sie selbst trinke!" Es dauerte nicht lange, und der Wolf kam mit dem Krug angesprungen. Da konnte der Wirt sich nicht genug wundern", saß nur da und sah den Fremden an und schüttelte den Kopf. "So, jetzt will ich auch von dem Braten haben, den die Braut ißt!" sprach der Prinz und schickte den Bären aufs Schloß, und der brachte wahrhaftig nach einer Weile ein Stück vom allerbesten Braten. "Nun fehlt bloß noch ein Stück von dem Brot, das die Prinzessin ißt!" sagte der Prinz, und schickte den Löwen hin. Der kam nach kurzer Zeit mit einem großen Stück Brot im Maul angetrottet.

Die Prinzessin aber, die an der Hochzeitstafel saß, hatte die Tiere erkannt und wußte wohl, wer ihr Herr war. Darum gab sie ihnen auch alles, was sie forderten, von Herzen gerne. Der König hatte die sonderbaren Besucher mit Staunen beobachtet, nahm endlich seine Tochter beiseite und sprach: "Nun sage mir doch einmal, meine liebe Tochter: Was hast du eigentlich mit diesen wilden Tieren im Sinn?" Da erzählte die Prinzessin ihrem Vater alles, so wie es sich zugetragen hatte, und gestand ihm zuletzt, daß der wahre Drachentöter nun da sei und daß sie den und keinen anderen heiraten werde. Der König schickte sogleich einen Boten in das Wirtshaus und ließ den Herrn, dem die drei wilden Tiere gehörten, zur Tafel laden. Als die Hochzeitsgäste nun alle genug gegessen und getrunken hatten und noch eine Weile so recht vergnügt beisammen saßen, sagte der König: "Wir wollen uns zur Unterhaltung ein wenig erzählen. Und wer wird mehr erzählen können als der Drachentöter und unser lieber Gast, der Jäger, der heute erst von einer weiten Reise zurückkehrte? Beginne also, Freund Drachentöter!" Da ließ der falsche Drachentöter die sieben Drachenköpfe auf den Tisch legen und berichtete mit vielen aufgeblähten Worten, wie er sie damals im Kampf dem Untier abgeschlagen habe. Und alle, die von dem bösen Betrug nichts wußten und den Kutscher für den Drachentöter hielten, bewunderten ihn und spendeten ihm Lob über Lob. Der König aber verzog keine Miene und sagte nur: "Nun denn, Herr Jäger, erzählt Ihr einmal von Euren Abenteuern!"

Der erhob sich, verbeugte sich höflich und gestand zum ersten, daß er kein Jäger, sondern ein Prinz sei. Dann schilderte er getreulich, auf welch eigentümliche Weise er zu den treuen Tieren gekommen sei und wie sie geholfen hätten, einen siebenköpfigen Drachen zu überwinden und eine Königstochter vom sicheren Tode zu erretten. "Und welch ein Zufall", sagte er, "gerade heute vor einem Jahr und nahe bei dieser Stadt hat sich all das zugetragen. Auch die Drachenköpfe hier kommen mir so bekannt vor, als ob ich sie schon einmal gesehen hätte. Nur, will mir scheinen, haben sie keine Zunge im Maul, was doch sonst gewiß bei allen Tieren der Fall ist." Da erhob sich der König und rief: "Diener! Öffnet die Drachenmäuler!" Und richtig, - in keinem von allen sieben war eine Zunge zu entdecken. "Wo sind die Zungen, Kutscher?!" stellte der König den falschen Mann zur Rede. "Da müßt Ihr nicht den da, sondern, mich fragen, Herr König", entgegnete der Prinz. "Hier sind sie!" - und dabei wickelte er die sieben Zungen aus dem seidenen Tuch. Und siehe, sie paßten genau auf die abgeschnittenen Enden in den Rachen der Drachenköpfe. "Und nun, edle Prinzessin", wandte sich der Prinz an die Königstochter, "kennt Ihr vielleicht die goldene Kette am Hals meiner Tiere?" - "O gewiß!" sagte sie, "die kenne ich gut! Ich selbst habe sie ja deinen Tieren umgehängt, weil sie dir so treu und tapfer im Kampf gegen den Drachen beigestanden haben."

Nun wußte der König gewiß, daß der Prinz der wahre Drachentöter, der Kutscher aber ein arglistiger Betrüger war. In der gleichen Stunde noch wurde der Falsche dem Henker übergeben. Der Prinz und die Prinzessin aber hielten Hochzeit und lebten nach des alten Königs Tod noch lange Jahre in Glück und Freude als König und Königin.

Was aus den beiden Brüdern des Königs geworden ist? Niemand weiß, ob sie heimgekehrt sind oder heute noch in der Welt umherwandern. Wenn ich aber an die große Tanne komme, will ich doch nachsehen, ob sie noch am Leben sind oder ob die blanken Klingen Rostflecke bekommen haben.
 

Undomiel

W:O:A Metalmaster
27 Dez. 2001
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Das hier ist eines meiner liebsten Märchen aus Russland (btw: toller Thread! :) )


Vor langer Zeit lebte einmal ein Bauer Iwan mit seiner Frau Marja. Sie liebten sich und lebten in Freundschaft miteinander. Aber was schlecht war: Sie hatten keine Kinder. Die Zeit verging und somit sind sie alt geworden. Beide waren traurig vor Kummer und das Einzige, was ihnen Freude bereitete, war andere Kinder anzusehen. Es war nichts zu machen! So ein Schicksal. Eines Tages hatte es im Winter stark geschneit. Die Kinder liefen auf die Strasse und spielten mit dem Schnee. Der Alte mit der Alten nahmen Platz bei dem Fenster, um sich an den Kindern zu er freuen. Die Kinder liefen lustig, spielten und begannen danach einen Schneemann zu bauen. Iwan und Marja haben das gesehen. Da überlegt Iwan und sagte plötzlich zu Marja:

"Was sagst Du, komm, bauen wir auch einen Schneemann!"


Marja freut sich über seine Worte: "Warum nicht? Komm, spielen auch wir ein wenig. Wir wollen aber keinen Schneemann bauen, sondern ein Schneemädchen. Gott hat uns kein lebendiges Kind gegeben, deshalb fertigen wir es uns selbst aus dem Schnee an!"

"Das ist wahrlich so..."- erwiderte Iwan, setzte seine Mütze auf und ging mit seiner Alten in den Hof.

Dort machten sie sich an die Arbeit. Sie haben aus dem Schnee einen Körper mit Armen und Beinen gebastelt, darauf einen runden Schneeball gestellt und einen Kopf geformt.

"Gott sei mit Ihnen. Was macht Ihr?" - fragte irgendein Passant. "Danke. Siehst ja selbst... Snegurotschka" - antwortete Marja und lachte.

Da machen sie ein Näschen, einen Mund und plötzlich... atmete das Kind warm. Und dann sieht Iwan wie sich die blauen Augen von selbst geöffnet haben und auch die roten Lippen, die freundlich lächelten. Da neigte sie den Kopf, als ob sie lebendig war, und rührte die Beine und Arme wie ein Kind in den Windeln.

"Was ist das? Kann das wahr sein?" - murmelte Iwan und bekreuzigte sich. "Ach, Iwan, Iwan!" - ruft Marja aus und zittert vor Freude - "Das Gott uns ein Kind schenkt!" Da küsste Marja Snegurotschka und umarmte sie. Der Schnee fällt von dem Mädchen ab, wie die Schale vom Ei und es bleibt wirklich ein lebendiges Mädchen stehen!

"O, meine liebe Snegurotschka!" - freut sich Marja unendlich und führt das Mädchen ins Haus. Iwan konnte das Wunder noch gar nicht begreifen und folgte ihnen.

Seitdem lebte Snegurotschka bei Iwan und Marja. Sie wuchs schnell und von einem Tag zum andern ist sie immer schöner geworden. Seit jener Zeit war alles bei ihnen in Ordnung. Das Haus war immer voller Kinder. Die Mädchen spielten verschiedene Spiele und sangen mit ihr, lehrten sie alles, was sie selbst wussten. Snegurotschka war aber sehr brav: merkte und übernahm alles außerordentlich rasch!

In diesem Winter verwandelte sie sich in ein etwa dreizehnjähriges Mädchen, das alles versteht. Man konnte mit ihr über alles sprechen. Und Sie hat so eine wunderschöne Stimme - man konnte dauernd zu hören. Und dabei war sie immer freundlich gegenüber Allen und bescheiden! Und im Haushalt half Marja bei allen Arbeiten. Und wie süß sie ausgesehen hatte: weiß wie Schnee, die Augen in der Farbe von Vergissmeinnicht, der Zopf bis zum Gürtel. Sie spielte immer so lustig. Marja und Iwan waren sehr glücklich, besonders Marja:

"Schau, Iwan!" - pflegte sie zu sagen - "Was für ein Geschenk haben wir von Gott in unserem Alter bekommen! Unser Kummer ist jetzt vorbei!"

Iwan antwortet: "Gottseindank! Die Freude ist nicht ewig, der Kummer ist nicht unendlich...!"

Der Winter verging. Die Frühlingssonne blitzte fröhlich am Himmel und wärmte die Erde. Auf den Wiesen erschien schon das erste Gras und die Vögelchen zwitscherten lustig. Schöne Mädchen sammelten sich hinter dem Dorf, sie tanzten ein Chorovod und sangen:

"Schöner Frühling! Sag mal. Womit bist du gefahren?"

Nur Snegurotschka ist plötzlich traurig geworden.



"Was ist denn mit Dir, mein Lieblingskind?"- fragte sie oft Marja - "Bist du nicht krank? Warum bist du so traurig? Hat dich ein schlechter Mann gekränkt? Snegurotschka antwortete ihr aber jedes Mal: "Es geht mir gut, liebe Großmutter! Ich bin gesund."

Der Frühling hat schon den letzten Schnee mit den warmen Tagen vertrieben. Die Wiesen und Gärten bedeckten sich mit Blumen. Die Nachtigall fing an zu singen. Alles ist lebendiger und lustiger geworden. Nur die arme Snegurotschka sucht einen Schatten, wie ein Maiglöckchen unter dem Baum. Sie ist ganz traurig und meidet die Freundinnen. Nur das Einzige bereitet ihr Freude, sich in einer kalten Quelle unter einer grünen Weide zu baden. Besonders war sie froh, wenn es oft regnete. Dann wurde sie lustig. Eines Tages kamen dicke Wolken und brachten den Hagel. Snegurotschka war so froh darüber, als ob es Perlen waren. Als der Hagel aber begann unter den Sonnenstrahlen zu tauen, weinte Snegurotschka so bitterlich, wie eine Schwester um ihren Bruder.

Der Frühling ist schon zu Ende. Die Mädchen vom Dorf wollten in den Wald spazieren gehen. Sie kamen zu Snegurotschka und bieten Großmutter Marja, ob Snegurotschka mit ihnen gehen könnte. Marja aber möchte nicht, dass Snegurotschka das Haus verlässt. Snegurotschka selbst zeigte auch keinen Wunsch, mit ihnen zusammenzugehen. Da überlegte Marja aber: "Vielleicht wird sie dort lustig." Und Sie hat Snegurotschka schön angezogen, küsste und sagte:

"Geh, mein Kind. Amüsiere dich bisschen mit allen zusammen!"

Dabei hat sie den Mädchen gesagt, dass sie auf Snegurotschka aufpassen sollten:

"Seid vorsichtig! Snegurotschka ist meine einzige Freude..."

"Gut, gut" - antworteten alle lustig, holten Snegurotschka und gingen alle zusammen in den Wald. Dort fertigten sie sich die Blumenkränze an, machten Blumensträußchen und sangen fröhliche Lieder. Snegurotschka war immer mit ihnen zusammen.

Als es aber zu dämmern begann, zündeten die Mädchen ein Feuer aus trockenem Gras und Ästen an. Dann standen sie in einer Reihe und mit dem Lied begannen sie, eine nach der andern, über das Feuer zu springen. Snegurotschka war die Letzte in dieser Reihe. Nach und nach sprangen die Mädchen, als sie plötzlich ein klägliches Geräusch hörten:

"Au!"

Sie schauen sich erschrocken um. Wo ist Snegurotschka?

"Wahrscheinlich hat sie sich vor uns versteckt"- und sie suchen sie überall. Aber Sie ist nirgendwo. Die Mädchen rufen. Keiner antwortet.

"Wohin konnte sie verschwinden?" - fragen die Mädchen. "Wahrscheinlich ist sie heim gelaufen" - und gingen ins Dorf, aber Snegurotschka war auch nicht dort. Man hat sie am nächsten Tag gesucht, und auch am dritten. Der ganze Wald wurde durchgesucht, jeder Baum und Strauch. Es war keine Spur von Snegurotschka zu sehen.

Man wusste nicht, dass Snegurotschka während des Sprunges über das Feuer verschmolzen war. Sie verwandelte sich in ein dünnes Wölkchen und als leichtes Dämpfchen ist sie zu den Wolken in den Himmel geflogen.

Lange lange weinten Iwan und Marja. Lange Zeit ging die arme Alte noch in den Wald und suchte nach Snegurotschka und rief sie:

"Au, au, Snegurotschka! Au, au, meine Liebe..."

Oft schien es, als ob sie als Antwort die Stimme von Snegurotschka hörte:

"Au! Au..."
 

monochrom

W:O:A Metalmaster
15 Aug. 2002
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Charles Perrault

Blaubart

Es war einmal ein Ritter, der besaß viele Häuser in der Stadt und viele Schlösser auf dem Lande und silbernes und goldenes Tafelgeschirr und Möbel voll kostbarer Stickereien und vergoldete Karossen und Kasten voll Geld – aber er besaß auch einen blauen Bart, und das gab ihm ein so abstoßendes Aussehen, daß Weiber und Mädchen ihn weder leiden noch sehen mochten.

Eine seiner Nachbarinnen, eine vornehme, aber arme Dame, hatte zwei sehr schöne Töchter. Er warb bei ihr, es der Mutter überlassend, welche von beiden sie ihm geben wolle. Sie mochten aber alle beide von dieser Partie nichts wissen, und eine wollte ihn der andern aufreden, da sich keine entschließen konnte, einen Mann mit blauem Barte zu heiraten. Auch hatte es etwas Abschreckendes, daß Blaubart schon mehrere Male verheiratet gewesen und daß man nicht wußte, was aus seinen bisherigen Frauen geworden. Es war das jedenfalls ein verdächtiger Umstand.

Blaubart aber kannte die Weiber und die Mittel, ihnen die Köpfe zu verdrehen. Er lud die Mutter und die Töchter samt einigen ihrer Freundinnen und mehrere junge Männer auf eines seiner Schlösser, wo man sich durch acht Tage aufs angenehmste unterhielt. Da ging es hoch und lustig her; nichts als Landpartien, Bälle, Mahlzeiten, Gesellschaftsspiele, Neckereien, dazu wohlangebrachte Geschenke an die Mädchen wie an die Mutter und an die Freundinnen, die auf die Schwestern am meisten Einfluß hatten.

Kurz, nach acht Tagen fand die jüngere Schwester, daß der Bart ihres Wirtes nur bläulich, nicht blau, und daß er selbst im ganzen und großen ein recht galanter Ritter und höchst annehmbarer Ehemann sei. Wenige Wochen nach diesen Lustbarkeiten war Hochzeit.

Nach Verlauf des Honigmondes sagte Blaubart zu seiner Frau: »Ich muß in sehr wichtiger Angelegenheit eine längere Reise machen, die mich wohl sechs Wochen lang von dir, mein Engel, und von meinem jungen Glücke trennen wird. Betrübe dich darum nicht allzusehr; im Gegenteil, lasse deine Freundinnen kommen und unterhalte dich während meiner Abwesenheit so gut als möglich. Hier übergebe ich dir die Schlüssel zu meinen Vorrats- und Schatzkammern, denn was mir gehört, gehört dir, und schalte und walte du damit nach Belieben. Dieser Schlüssel führt zum Saal der Gold- und Silbergeschirre, die man nicht täglich braucht, dieser zu meinen Kassen voll Gold und Silber, dieser zu den Kisten, in denen ich meine Diamanten aufbewahre, und dieser hier ist der Hauptschlüssel, der alle Türen öffnet. Was nun dieses kleine Schlüsselchen betrifft, so führt es in das kleine Gemach am Ende der großen Galerie. Gehe du überall hin, wohin es dir beliebt, öffne alle Türen, wie du willst, aber ich verbiete dir aufs strengste, in jenes kleine Kabinett einzutreten. Sollte es dir dennoch begegnen, daß du es öffnest, so wisse, daß du von meinem Zorne das Schrecklichste zu erwarten hast.«

Sie versprach und beteuerte, seine Verordnungen aufs gewissenhafteste zu beobachten. Er umarmte sie zärtlich, stieg zu Roß und ritt davon. Die Nachbarinnen, Gevatterinnen und Freundinnen warteten nicht, bis man sie abholte. Kaum war Blaubart abgeritten, als sie schon herbeikamen, neugierig, wie sie waren, alle Reichtümer und Herrlichkeiten der jungen Frau zu sehen, während sie bisher nicht gewagt hatten, sie zu besuchen, aus Furcht vor dem blauen Barte. Da liefen sie nun voll Neugierde durch Zimmer und Zimmerchen, durch Säle und Sälchen und Schatzkammern und konnten sich nicht genug verwundern, und manche beneidete die glückliche Blaubärtin. Diese Tapisserien, diese Sofas, diese Lehnstühle, diese ausgelegten Tische – es war alles über alle Beschreibung reich und schön, jedes Kabinettchen ein Grünes Gewölbe. Am schönsten aber waren die großen Spiegel mit den prächtigen Rahmen, in denen das häßlichste Frauenzimmer reizend aussah. Sie waren alle wie berauscht von den schönen Sachen, und manche bedauerten, daß es nicht noch viele solche Blaubärte in der Welt gab.

Am wenigsten unterhielt sich bei all dem die Beneidete, die Frau des Hauses selbst. Sie war zerstreut, sie konnte es nicht erwarten, hinabzusteigen in die Galerien und das kleine Kabinett zu öffnen. Die Neugierde verzehrte sie, und am Ende hielt sie es nicht länger aus, verließ unartigerweise ihre Gesellschaft und schlüpfte über die verborgene Wendeltreppe so schnell hinab, daß sie zwei- oder dreimal in Gefahr war, den Hals zu brechen. Erst vor der Türe des kleinen Kabinetts kam sie einigermaßen zur Besinnung und überlegte, ob es auch recht sei, die Verbote des Gatten so sehr außer acht zu lassen, und ob ihr aus ihrem Ungehorsam nicht etwelches Unglück erwachsen könne.

Sie erinnerte sich des Gesichtes, das Blaubart gemacht hatte, als er ihr einschärfte, das Kabinett nicht zu öffnen, und sie schauderte. Aber die Versuchung war zu groß. Sie konnte nicht widerstehen – und schon hielt sie das kleine Schlüsselchen in der Hand, und schon hatte sie, obwohl zitternd, die Türe geöffnet.

Zuerst sah sie nichts, gar nichts, weil die Fenster geschlossen waren. Nach einigen Minuten sah sie, daß der Boden mit geronnenem Blut bedeckt war und in dem Zimmer tote Frauen lagen. Es waren das die Frauen, die Blaubart früher geheiratet und die er alle, eine nach der andern, umgebracht hatte. Sie war halb tot vor Schrecken, und das Schlüsselchen, das sie aus dem Schlosse gezogen., entfiel ihren Händen.

Nachdem sie sich wieder gefaßt, hob sie das Schlüsselchen auf, schloß die Türe und lief in ihr Zimmer, um sich zu sammeln und von ihrem Schrecken zu erholen. Aber das wollte ihr nicht gelingen, so sehr erschrocken und aufgeregt war sie.

Da sie bemerkte, daß das Schlüsselchen mit Blut befleckt war, wischte sie es zwei- und dreimal ab, aber das Blut wollte nicht weichen. Sie mochte es noch so sehr waschen und mit Sand und Bimsstein reiben, der Blutfleck blieb nach wie vor, denn der Schlüssel war ein Zauberschlüssel, da half nichts. Und wenn der Blutfleck an einer Stelle verschwand, kam er an einer andern wieder zum Vorschein.
 

monochrom

W:O:A Metalmaster
15 Aug. 2002
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Blaubart kehrte noch am selben Abend von der Reise zurück und erzählte, daß er durch Briefe, die er unterwegs erhalten, in Erfahrung gebracht, daß die Reise überflüssig und daß seine Angelegenheiten aufs beste geordnet seien. Seine Frau tat alles mögliche, um ihn glauben zu machen, daß sie über seine frühe Rückkehr hocherfreut sei.

Am nächsten Morgen verlangte er die Schlüssel zurück. Sie übergab sie ihm, aber mit so arg bebenden Händen, daß er leicht erriet, was geschehen war.

»Wie kommt es«, fragte er, »daß der kleine Schlüssel zum Kabinett hier fehlt?«

»Ich werde ihn wohl oben auf dem Tische haben liegenlassen.«

»Vergiß nicht, mir ihn alsbald zu bringen«, sagte Blaubart.

Sie schob es mehrere Male auf, aber am Ende mußte sie den Schlüssel denn doch herbeibringen.

Blaubart betrachtete ihn und sagte dann: »Wie kommt Blut an diesen Schlüssel?«

»Ich weiß es nicht«, antwortete das arme Weib, blaß wie der Tod.

»Du weißt es nicht«, schrie Blaubart, »ich aber weiß es, ich! Du wolltest in das Kabinett! Nun wohl, du sollst deinen Willen haben, du wirst hineinkommen in dieses Kabinett und wirst deinen Platz einnehmen neben den Damen, die du dort zu sehen das Vergnügen hattest.«

Sie warf sich ihm zu Füßen, weinte und bat um Verzeihung und Gnade mit allen Zeichen der Reue. Sie weinte, wie man sich denken kann, vergebens, denn Blaubart hatte ein Herz von Stein.

»Du mußt sterben«, sagte er gefaßt, »und zwar gleich.«

»Wenn ich schon sterben muß«, sagte sie mit vor Tränen zitternder Stimme, »so laß mir nur so viel Zeit, um mein Gebet verrichten zu können.«

»Ich gewähre dir eine halbe Viertelstunde und keine Minute mehr.«

Als er sie allein ließ, rief sie ihre Schwester und sagte zu dieser: »Schwester Anna, ich bitte dich, steige auf den Turm, so hoch du kannst, und sieh, ob nicht meine Brüder kommen. Sie haben sich auf heute zu Besuch angesagt, und wenn du sie kommen siehst, mache ihnen Zeichen, daß sie sich beeilen.«

Schwester Anna stieg auf den Turm, so hoch sie konnte, und die arme Betrübte rief von Zeit zu Zeit zu ihr hinauf: »Anna, Schwester Anna, siehst du nichts kommen?«

Und Schwester Anna antwortete: »Ich sehe nur die Sonne, die schimmert, und das grüne Gras, das glitzert.« Unterdessen stand Blaubart, mit einem großen Messer in der Hand, unten und rief aus Leibeskräften seiner Frau; »Komme rasch herunter, oder ich steige hinauf!«

»Noch einen Augenblick!« antwortete seine Frau, und dann rief sie leise: »Anna, Schwester Anna, siehst du nichts kommen?«

Und Schwester Anna antwortete: »Ich sehe nur die Sonne, die schimmert, und das grüne Gras, das glitzert.«

»So komm doch!« schrie Blaubart, »oder ich steige hinauf!«

»Ich komme!« antwortete seine Frau, dann rief sie: »Anna, Schwester Anna, siehst du nichts kommen?«

»Ich sehe«, erwiderte Schwester Anna, »einen großen Staub, der sich von jener Seite erhebt.«

»Sind es meine Brüder?«

»Ach nein, meine Schwester, es ist eine Schafherde.«

»Willst du nicht endlich kommen?« schrie Blaubart.

»Noch eine Minute«, antwortete seine Frau, dann rief sie: »Anna, Schwester Anna, siehst du nichts kommen?«

»Ich sehe«, antwortete Schwester Anna, »ich sehe zwei Ritter von jener Seite kommen, aber sie sind noch sehr weit.« Und einen Augenblick später rief sie: »Gott sei gelobt, es sind die Brüder. Ich mache ihnen, soviel ich kann, Zeichen, daß sie sich beeilen.«

Blaubart schrie und rief jetzt so stark, daß das Haus zitterte. Das arme Weib stieg hinab, warf sich ihm zu Füßen, weinte und jammerte ganz fürchterlich und rang die Hände.

»Das führt zu nichts«, sagte Blaubart, »du mußt sterben!«

Dann griff er mit einer Hand in ihr Haar, mit der andern schwang er das große Messer, um ihr den Kopf abzuschneiden. Die arme Frau wandte sich zu ihm, sah ihn mit brechenden Augen an und bat noch um einen Augenblick, um sich zu sammeln.

»Nein! Nein! Empfiehl deine Seele Gott aufs beste!« rief er und hob den Arm ... In diesem Augenblick schlug man so gewaltig an die Tür, daß Blaubart stutzte. Man öffnete sogleich. Zwei Ritter mit gezückten Schwertern traten ein und stürzten sich geradenwegs auf Blaubart.

Er erkannte die Brüder seiner Frau und wollte auf und davon gehen, aber die Brüder verfolgten ihn auf dem Fuß, erwischten ihn, bevor er aus dem Hause war, stießen ihm die Degen mitten durch den Leib und streckten ihn tot hin. Die arme Frau, die fast ebenso tot war wie ihr Gatte, hatte kaum Kraft genug, um sich zu erheben und ihre Brüder zu begrüßen.



Blaubart hatte keine Anverwandten, und so fiel die ganze Erbschaft seiner Frau zu. Einen Teil ihres ungeheuren Vermögens gab sie ihrer Schwester Anna und verheiratete sie mit einem trefflichen jungen Mann, der sie seit langem liebte. Einen anderen Teil überließ sie ihren Brüdern, die als Soldaten das sehr wohl brauchen konnten, und den Rest brachte sie einem soliden Manne zu, an dessen Seite sie im Glücke die schweren Stunden ihrer kurzen Ehe mit Blaubart vergaß.
 

Undomiel

W:O:A Metalmaster
27 Dez. 2001
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Mal extra für Rain eins aus Dithmarschen:

Die Zahlen Eins bis Sieben
Die Zahlen Eins bis Sieben In Dithmarschen besaß ein Bauer einst Haus und Hof und dazu so viel Land, daß er mit Weib und Kind gut leben konnte. Lange Jahre war er auch glücklich und zufrieden. Da brach einmal eine Seuche aus, die fast sein ganzes Vieh vernichtete. Doch wußte er sich durch Fleiß und Sparsamkeit über die Not hinwegzuhelfen und schaffte sich bald wieder neues Vieh an. Kaum glaubte der Mann, wieder aufatmen zu können, so kam die Seuche zum zweitenmal und fraß wieder seinen Stall leer. Auch dieses Unglück konnte seine Ausdauer nicht brechen, und er arbeitete sich wieder in die Höhe. Als der Hof aber zum drittenmal von der Krankheit heimgesucht wurde, kam der Bauer in die traurigste Lage. Sorge und Not waren ständig zu Gast; es fehlte an Milch, Brot, Butter und Speck. Die Nachbarn mochte er in dieser schrecklichen Bedrängnis auch nicht um Hilfe bitten; denn bei ihnen stand es nicht besser. Seine Äcker konnte er dieses Jahr nicht bebauen; denn die Pferde, die zur Arbeit nötig waren, lebten ja nicht mehr. Als der Bauer an einem klaren Herbstmorgen, statt zu arbeiten, in düstere Gedanken versunken, durch das Feld ging, schien es ihm, als hätte ihn Gott ganz vergessen. In seiner Trostlosigkeit schlug er die Hände über dem Kopf zusammen, als die Frage vor ihm stand: "Wie ernähre ich diesen Winter Weib und Kind?" Während der Bauer noch mit seiner Verzweiflung rang, gewahrte er plötzlich ein kleines Männchen vor sich, das mit einem grauen Rock bekleidet war und einen dreieckigen Hut auf dem Kopf hatte. Es schaute ihn mit forschenden Blicken an. Verwundert blieb der Bauer stehen, er konnte sich nicht erklären, woher dieses Männchen auf einmal gekommen sei. Schweigend wollte er dann an ihm vorbeigehen. Das Männchen aber redete ihn an: "Sag mir doch, warum du so traurig bist, lieber Freund! Vielleicht kann ich dir helfen." "Ach", erwiderte der Bauer, "wie sollst du mir helfen können?" Der kleine Mann ließ aber nicht nach, sondern fragte immer wieder, bis ihm der Bauer den Grund seiner Trauer ausführlich erzählt hatte. Da kniff das Männlein seine klugen Äuglein zu, schnalzte mit den Fingern und rief: "Wenns weiter nichts ist, kann dir geholfen werden. Höre: Ich gebe dir auf fünfundzwanzig Jahre vier Pferde, die mehr arbeiten können, als zehn andere und obendrein nicht gefüttert werden brauchen. Du kannst sie jeden Morgen anspannen und brauchst sie nur abends in den Stall zu führen. Alles übrige besorge ich. In diesen fünfundzwanzig Jahren sollen deine Felder reichlichen Ertrag bringen. Ich stelle nur eine Bedingung: Sobald die Zeit abgelaufen ist, mußt du mir die Antwort auf eine Frage geben, die ich dir jetzt vorlegen werde, oder du selbst bist mir verfallen." Der Bauer stimmte zu, ohne sich weiter zu bedenken. Er hoffte, während der langen Frist schon die Antwort auf die Frage zu finden. Da fragte der Kleine : Was bedeuten die Zahlen eins bis sieben? Dies sollst du mir nach fünfundzwanzig Jahren beantworten". Der Kleine hielt seine Hand hin, und der Bauer schlug ein. Dann begleitete das Männlein den Bauern noch bis ans Dorf. Zum Abschied gab er ihm einen vollen Beutel mit Geld, hierauf war er verschwunden. Als der Bauer heimkam, standen vier Pferde im Stall. Die Bäuerin erklärte, ein fremder Knecht habe sie gebracht. Nun kehrten Glück und Zufriedenheit aufs neue ins Haus zurück. Kühe wurden gekauft, und der Haushalt kam wieder in Ordnung. Jeden Morgen fuhr der Bauer mit seinen vier Pferden aufs Feld. Die Arbeit ging wundervoll vorwärts. Abends brachte er sie in den Stallund ließ den Kleinen für sie sorgen. Seine Ernte war reichlicher als die seiner Nachbarn. Bald war der Bauer ein vermögender Mann, baute sich ein neues, schönes Haus und kaufte mehrere Grundstücke, so daß sein Hof stark vergrößert war. Fiel ihm einmal die Frage ein, die er beantworten sollte, so dachte er, das hätte wohl noch Zeit, darüber könne er im nächsten Jahr nachdenken, und er schlug sich die Gedanken daran aus dem Sinn. So verfloß die Zeit, und endlich waren vierundzwanzig Jahre herum. Nun gab es keinen Aufschub mehr. Der Bauer begann zu grübeln und zu raten, was wohl die Zahlen von eins bis sieben bedeuten könnten. Doch wie sehr er sich auch quälte, er fand keine Antwort. Darüber wurde er ganz stumm und verdrossen, ja zuletzt krank und elend. Seine Frau und die Kinder sahen dies mit großer Sorge und wollten von ihm wissen, was ihm denn fehle. Er aber schwieg. Doch je näher die Zeit der Beantwortung kam, desto schlimmer wurde es mit dem Bauern. Voll Angst und Unruhe lag er im Bett, Speise und Trank nahm er kaum noch zu sich. Seine Frau und die Kinder blieben ängstlich immer an seiner Seite. Als nun der festgesetzte Tag anbrach und es gegen Mittag ging, schärfte der Kranke seiner Frau aufs dringendste ein, alle Türen und Fensterläden des Hauses zu schließen und niemand einzulassen, der ihn sprechen wolle. Plötzlich zog schwarzes Gewölk am Himmel auf, und ein greuliches Unwetter brach los, der Sturm heulte und fauchte, es donnerte und blitzte, und der Regen goß in Strömen vom Himmel. Da pochte es an die Tür, doch niemand öffnete; es klopfte wieder und noch einmal. Schließlich bat eine Stimme vor der Haustür flehentlich um Einlaß und Schutz vor dem Unwetter. Endlich wagte sich die Bäuerin an die Tür. Dort stand ein freundlicher Mann, der gut aussah, in schlichter Kleidung mit einem Stock in der Hand. Er bat inständig um Einlaß und erwähnte im Lauf des Gespräches, daß er auch Kranke zu heilen verstehe. Da ließ ihn die Bäuerin schließlich eintreten. Nun forderte der Fremde die Frau und die Kinder auf, ihn bei dem kranken Mann allein zu lassen, und setzte sich zu dem Bauern ans Bett, tröstete ihn und wußte durch sein Benehmen den Kranken so zu gewinnen, daß dieser ihm unter vielen Tränen den Grund seines Leides bekannte. Da sprach der Fremde: "Guter Freund, Ihr seid leichtsinnig gewesen. Aber ich will Euch helfen. Merkt auf: Eins ist eine Schiebkarre, Zwei eine Karriole, Drei ein Dreifuß, Vier ein Wagen, Fünf die Finger an der Hand, Sechs die Werktage in der Woche, Sieben das Siebengestirn. Und nun steht auf und seid getrost." Der Bauer erhob sich und fühlte sich wieder leicht und wohl; als er sich aber umsah, war der Fremde verschwunden. Da merkten sie, daß es unser Herr Christus selbst gewesen sein müsse, der sich des Mannes angenommen hatte; wo aber der Herr selbst erscheint, da hat der Teufel sein Spiel verloren. Das Unwetter jedoch dauerte noch immer an, ja, es sah aus, als ob es stets arger würde. Und als der Abend anbrach, fuhr mit einem tosenden Wirbelwind der Böse ins Haus und fragte grinsend nach der Bedeutung der Zahlen. Da lachte der Bauer und gab Antwort auf die Frage. Nun konnte ihm der Teufel nichts anhaben. Fluchend auf den, der ihm sein Spiel verdorben hatte, stürzte der Satan in den Stall, riß die vier Pferde vom Stand und raste mit ihnen durch die Luft davon. Sogleich ging das Unwetter zu Ende. Der Bauer lebte von nun an noch lange Jahre glücklich mit den Seinen, und der Segen des Himmels lag auf allen seinen Werken.
 

Rain

W:O:A Metalmaster
16 Nov. 2004
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Ahh, schön schön! Genau so hatte ich mir das vorgestellt!:)

Also das von Blaubart fand ich auch ganz schön gruselig! Und das russische war sehr traurig...

Das aus Dithmarschen kannte ich sogar auch.:) Das haben wir zu Hause in einem Buch namens "Nordseesagen". Ist übrigens ein tolles Buch, auch mit Sagen aus Friesland, Bremen usw.

@Fee: ich weiß nicht... "bruse" heißt brausen und ist ein Verb. Allerdings frag ich mich wie sich das auf die Böcke beziehen lässt. Auf nynorsk kann es auch sowas wie "Haarbüschel auf der Stirn" heißen, wenn ich das richtig verstanden hab...:confused: das würde schon eher Sinn ergeben.
 

Shagarth

W:O:A Metalmaster
26 Aug. 2005
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Dä Ma im Mo!

Vor langärä, langärä Ziit isch ämol a Ma am heiligä Sunndig in dä Wald gange um Holz z hagge. Als er ä großes Bündel Holz zsämme gha het, het er's uf sini Schultere glade un sich uf dä Heimwäg gmacht.
Do isch ihm ä junge Ma in Sunndigskleider begägnet, welle in d Chirch het wölle go. Er isch stoh bliiebe un het zuem Holzträger gseit: "Weißsch du nüd, dass huet Sunndig isch, dä Dag, an däm d Arbet ruehe sott?"
Dä Holzhagger het mürrisch gantwortät: "Sunndig oder Mendig - was schärt mi das un was goht dich das a?"
Aber dä junge Ma, welle niemand anderschts als dr Gott sälber war, het gseit:
"Dann sollsch du di Holzbündel ewig trage! Un weil du dich um d Gebote uf dr Ärde so wenig kümmerisch, sollsch du vo jetz a im Mo stoh!"
Sit dere Ziit stoht dr Ma mittäm Holzbündel im Mo als Warnig für alli di wo dä sunndig nüd in ehre halte - un wenn du gnau aneluegsch, chasch du ihn seh!